Menschenkette gegen Atomkraft:"Wir sind wieder da"

Es war die größte Aktion der Anti-Atomkraftbewegung seit Jahrzehnten: Mehr als 120.000 Kernkraftgegner haben zwischen den Reaktoren Brunsbüttel und Krümmel eine Menschenkette gebildet.

Mit einer 120 Kilometer langen Menschenkette zwischen den Pannenreaktoren Krümmel und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein haben die Atomgegner aus allen Schichten der Gesellschaft ein unübersehbares Ausrufezeichen im Kampf gegen einen Ausstieg aus dem Atomausstieg gesetzt.

Atomkraftgegner, Demonstration, Menschenkette; dpa

Das betagte Symbol der Kernkraftgegner ist wieder hochaktuell.

(Foto: Foto: dpa)

Kurz vor dem 24. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (26. April) und zwei Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein- Westfalen sind zehntausende Menschen - darunter Bauern mit Traktoren, Familien auf Fahrrädern sowie fantasievoll verkleidete Frauen und Männer - zu einem bunten Protest gegen die Energiepolitik der schwarz-gelben Bundesregierung durch Norddeutschland gezogen.

"Wir sind wieder da"

Sie haben damit eine der größten Protestveranstaltungen gegen die Atomenergie in der Geschichte der Bundesrepublik auf die Beine gestellt. Mehr als 200 Busse und drei Sonderzüge brachten Menschen aus ganz Deutschland zu den Sammelpunkten in Hamburg und Schleswig-Holstein.

Max (54) und Martha (58) Maier aus dem kleinen Ort Emmering bei München sind extra nach Hamburg gekommen. "Seit 1983 agiere ich gegen Atomkraft. Es ist eine menschenverachtende Technologie, das geht vom Uranabbau bis zur Endlagerung", sagte der Kriminalhauptkommissar. "Tschernobyl hat uns vor Augen geführt, wie gefährlich diese Technologie ist", ergänzte seine Frau.

Georg und Viola Möller haben ihre beiden Kleinkinder zur Kette in Hamburg mitgebracht. "Das ist eine Demonstrationsform, die ich den Kindern zumuten kann und auch eine Forderung, die ich den Kindern zumuten kann, nämlich: Abschalten! Und einschalten, was das Gehirn angeht", sagte Georg Möller.

Dabei war auch Marion Baumann aus Göttingen mit ihren elf- und neunjährigen Töchtern Jill und Lynn Marie. "Wir waren schon immer gegen Atomkraft, haben schon an vielen Demonstrationen teilgenommen." In Brokdorf, ebenfalls Standort eines Atomkraftwerks, forderte der designierte Linken-Bundesvorsitzende Klaus Ernst stellvertretend für viele: "So schnell wie möglich alle abschalten."

In Norddeutschland blieb entlang der Straßen und Deiche alles friedlich, allerdings kam es zu Verkehrsbehinderungen. "Wenn das Thema nicht so ernst wäre, könnte man von einem Straßenfest sprechen", sagte Jessica Wessel vom Landespolizeiamt Schleswig- Holstein.

"Wir sind wieder da, bunter und vielfältiger als jemals zuvor", sagte der Sprecher des Trägerkreises, Jochen Stay. "Wir lassen jetzt nicht mehr locker. Wenn die Bundesregierung an ihrem Atom-Kurs festhält, wird die neue Protest-Bewegung weiter zulegen." Die Pannen-Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel müssten jetzt endgültig stillgelegt werden, forderte er. Beide Kraftwerke stehen nach mehreren Pannen seit 2007 fast ununterbrochen still - Betreiber Vattenfall rechnet nicht damit, dass sie noch 2010 wieder ans Netz gehen können.

Politprominenz demonstriert

Auf dem Hamburger Rathausmarkt reihte sich der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, ein. "Es hat auch was damit zu tun, dass man als Familienvater seinen Beitrag dazu leisten möchte, dass diese unbeherrschbare Technologie so schnell wie möglich vom Erdboden verschwindet." Özdemir wertete die Aktion auch als Signal für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai. "Über die Mehrheit im Bundesrat haben wir eine Chance, mehr Atommüll, mehr Unsicherheit, mehr Atomenergie zu verhindern."

In Geesthacht bildeten Atomkraftgegner aus dem Wendland das östliche Ende der Kette am Meiler Krümmel. In sieben Orten an der Strecke gab es anschließend Veranstaltungen mit Musik von Künstlern wie Jan Delay und Microphone Mafia.

In Brunsbüttel glitten Fallschirmspringer durch die Frühlingsluft und ließen das traditionelle Banner der Anti-AKW-Bewegung flattern: Die Atomkraft-Nein-Danke-Sonne auf gelbem Grund, die entlang der Deiche und Straßen an der Elbe an diesem Tag dominierte. Dabei wurde der Protest nicht in erster Linie von den inzwischen ergrauten Atomkraftgegnern der 1970er Jahre getragen. Viele junge Leute reihten sich gut gelaunt in die friedliche Menschenkette ein.

Schulterschluss von SPD und Grünen

In Elmshorn warnte SPD-Chef Sigmar Gabriel vor negativen Folgen einer Laufzeitverlängerung für die inzwischen 300.000 Arbeitsplätze in der Branche der erneuerbaren Energien. Zusammen mit dem ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) reihte er sich in die Kette ein und beschwor vergangene rot-grüne Zeiten. Damals war es gelungen, ein Ende der Atomkraft in Deutschland bis etwa 2022 per Gesetz zu vereinbaren. Nun übten sie den Schulterschluss und kämpfen vereint auf einer Wiese zwischen Elmshorn und Glückstadt gegen eine Abkehr von ihrem einstigen rot-grünen Regierungsbeschluss.

Proteste gegen die Atomkraft fanden zeitgleich zu der Menschenkette in Norddeutschland auch in anderen Bundesländern statt. In Hessen umstellten nach Angaben der Veranstalter rund 20.000 Menschen das Atomkraftwerk Biblis. Zudem gab es eine Demonstration vor dem Atommüll-Lager im nordrhein-westfälischen Ahaus, wo nach Angaben der Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus" mehr als 5000 Atomkraftgegner auf die Straße gingen.

Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation "ausgestrahlt" kündigte weitere Aktionen im ganzen Bundesgebiet in den kommenden Monaten an. Eine weitere bundesweite Großaktion am 2. Oktober sei bereits in Planung, und beim Castor-Transport nach Gorleben im November sei mit weiter wachsenden Protesten zu rechnen, sagte er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: