Menschen des Jahres 2010:Von Helden und Siegern

Mutige Frauen, große Schlichter, stille Helden und junge Sieger: Diese Menschen prägten das vergangene Jahr 2010 in Deutschland oder weltweit - Sie haben abgestimmt, wer Sie am meisten beeindruckte.

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Steffen Seibert stellt sich als neuer Regierungssprecher vor

Quelle: ddp

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Viele Menschen prägten das vergangene Jahr 2010, durch ihre Taten, ihren Mut, ihre Willensstärke, aber auch durch ihr Auftreten, sei es positiv oder negativ. sueddeutsche.de stellt einige Menschen des Jahres vor. Sie haben abgestimmt, welche dieser Persönlichkeiten Sie am meisten bewegt oder beeindruckt hat - die Rangliste in Bildern.

Rang 14: Steffen Seibert (947 Punkte bei 718 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Es ist die Überraschungspersonalie des Sommers. Der Anchormann des ZDF-heute-journals wird neuer Sprecher der Regierung Angela Merkel: Steffen Seibert, 50 Jahre alt, drei Kinder, verheiratet, katholisch, wohnhaft in Wiesbaden. Seit 11. August ist er Merkels Mann für die Öffentlichkeitsarbeit. Eine Herkulesaufgabe. Das Ansehen der Bundesregierung ist zum Sommer derart tief gesunken, dass ein oder zwei Kellergeschosse zusätzlich kaum ausreichen dürften, das Desaster abzubilden. Vielleicht wäre ein erfahrener Krisenkommunikator besser gewesen als der Neuling Seibert. So richtig Tritt gefasst hat er jedenfalls bisher nicht.

Die ersten Wochen kokettiert er noch mit seiner Unerfahrenheit auf dem politischen Parkett in Berlin. Er wolle aus seinen Fehlern lernen, sagt er. Währenddessen merkt er, dass der Job nicht nur anstrengend ist, sondern fürchterlich anstrengend. Zu ZDF-Zeiten war Seibert der ewig junge Moderator. Inzwischen ist ihm jedes seiner 50 Jahre im Gesicht abzulesen. Er macht Fehler. Dummerweise solche, die schon fast an Selbstdemontage grenzen. Einmal war ihm bis Mittag die Kritik des Bundestagspräsidenten an der Kanzlerin nicht präsent: Er habe die entsprechende Zeitung nicht gelesen. Einmal suggerierte er, die Regierung werde sich in die Übernahmeschlacht um das Bauunternehmen Hochtief einmischen - was falsch war. Vor kurzem nannte er namentlich die Deutsche Bank als eines jener Geldinstitute, das massiv in Irland engagiert sei - was nicht der Fall ist, aber zu Kursverlusten für die Deutsche Bank führte. Wenn das so weitergeht, könnte sich Seibert vom Überraschungscoup zum Fehlgriff des Jahres entwickeln.

Thorsten Denkler

Das geschah 2010 - der interaktive Rückblick von sueddeutsche.de

Berggruen uebernimmt Karstadt

Quelle: ddp

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Rang 13: Nicolas Berggruen (954 Punkte bei 763 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Als dann endlich alles unter Dach und Fach war, stand Nicolas Berggruen da und zeigte ein fast so strahlendes Lächeln wie die Frau neben ihm. Und weil die Frau neben ihm Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen war, bedeutete das, dass Nicolas Berggruen ein ungemein strahlendes Lächeln zeigte. Er, der Investor und Kunstsammler, der gebürtige Franzose und Sohn eines Kunstmäzens, der sowohl kinder- als auch wohnsitzlose Multimilliardär, hatte die traditionelle Warenhauskette Karstadt vor dem Aus bewahrt. Wenn von irgendwoher ein Investor kommt, um ein kriselndes deutsches Unternehmen zu übernehmen, löst das in der Regel eher negative Reflexe aus.

Doch diesen Nicolas Berggruen, 49, unter anderem Besitzer von spanischen Tageszeitungen, englischen Lebensversicherungen und Bürotürmen in Shanghai, hießen alle herzlich Willkommen - auch, aber nicht nur wegen seiner Arbeitsplatzgarantie. Das hat vor allem damit zu tun, dass er sich ein Image zulegte, das sich von dem vieler anderer Investoren grundlegend unterscheidet. Danach ist Berggruen erstens nicht auf den schnellen Euro aus, sondern denkt längerfristig; steckt er zweitens sein Geld auch gerne mal in sozial und ökologisch verantwortungsvolle Projekte; und tritt er drittens immer so sachlich-zurückhaltend auf, so ganz und gar nicht investorenmäßig. Er wolle "nicht nur Karstadt retten, sondern am liebsten gleich die ganze Welt", heißt es.

Das ändert aber nichts daran, dass die Karstadt-Rettung scheinbar nur unwesentlich leichter ist als die Weltenrettung. Zwar hat Berggruen die Warenhauskette ein wenig umstrukturiert, eine neue Spitze eingesetzt und erfreut gelesen, dass die Entwicklung besser laufe als erwartet. Doch der Weg vom biederen Image der Handelskette hin zur schönen neuen Einkaufserlebniswelt ist schwer. Nicht alle Tage im Leben eines Karstadt-Eigners ergeben so schöne Lächel-Bilder wie damals mit Frau von der Leyen.

Johannes Aumüller

Schäuble-Sprecher Offer tritt zurück

Quelle: dpa

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Rang 12: Michael Offer (1471 Punkte bei 779 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Es ist eine zweifelhafte Berühmtheit, die ein gewisser Michael Offer am 4. November dieses Jahres erreicht. Offer ist an diesem Donnerstag noch Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Und offenbar liegen beide seit einige Tagen - wenn nicht schon seit Wochen - im Clinch miteinander. Ein Umstand, der eigentlich nur Schäuble und Offer etwas angeht. Doch Schäuble meinte an diesem Tag, Offer vor laufender Kamera gehörig die Leviten lesen zu müssen. Eine Pressekonferenz zur Steuerschätzung ist angesetzt. Offer hat die nötige Pressemappe noch nicht verteilen lassen können. Und Schäuble ist stinksauer. Er habe mit ihm "gewettet", dass er das nicht schaffen werde. "Herr Offer, reden Sie nicht, sorgen Sie dafür, dass die Zahlen jetzt verteilt werden", raunzt er seinen Sprecher an. Er werde die Pressekonferenz jetzt verlassen.

Als es wieder losgeht, ist Offer noch nicht da. "Kann mal einer den Offer holen", stichelt Schäuble. Der solle den "Scherbenhaufen" den er angerichtet habe, "schon selber genießen". Auch als Offer endlich die Presseunterlagen weitergibt, hört Schäuble nicht auf herumzumosern. Er will die Unterlagen sehen, damit er wisse, was da verteilt werde. Auf den diversen Videoplattformen im Internet wird die Sequenz zu einem Klick-Hit. Schäuble hat sich wenige Tage später in einem Zeitungsinterview derart halbherzig bei Offer entschuldigt, dass der das als Rausschmiss werten musste. Er reagiert konsequent: Fünf Tage nach dem Vorfall nimmt Offer seinen Hut. Und mit Schäuble muss sich der wichtigste Mann der Regierung mal wieder von Kanzlerin Angela Merkel höchstselbst schützen lassen, damit die Rücktrittsrufe nach dem Eklat nicht zu laut werden.

Thorsten Denkler

Jahresrueckblick Juni 2010: Fall Emmely

Quelle: dapd

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Rang 11: Emmely (1661 Punkte bei 801 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Von ihrem Arbeitgeber Kaiser's Tengelmann wurde sie 2008 entlassen, weil sie nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit zwei Pfandbons eingelöst hatte, die ihr nicht gehörten - im Wert von 48 und von 82 Cent. Die unter dem Pseudonym Emmely bekannt gewordene Supermarktkassiererin fing an zu kämpfen - um ihren Job und ihre Ehre.

Sie zog vor Gericht, zunächst erfolglos. Das Arbeitsgericht Berlin und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gaben der Supermarktkette Recht - erst das Bundesarbeitsgericht hob die Kündigung unter den aufmerksamen Augen der Öffentlichkeit im Juni 2010 endgültig auf. Der Zweite Senat entschied, dass das Vertrauen des Arbeitgebers durch das einmalige Delikt nach der langen Betriebszugehörigkeit nicht vollkommen "aufgezehrt" worden sei. Zudem sei die Schädigung relativ niedrig gewesen. Eine Abmahnung hätte in diesem Fall ausgereicht. Wenige Wochen später kehrte Emmely an ihren Arbeitsplatz hinter der Supermarktkasse zurück.

In dem Prozess ging es am Ende nicht mehr nur um ihren Job - ganz Deutschland erkor sie zur Symbolfigur für ein ungerechtes System, in dem rechtschaffene Arbeitnehmer wegen Centbeträgen willkürlich entlassen werden. In den Medien folgte eine Meldung zu Bagatellkündigungen nach der anderen. Der Fall der Altenpflegerin, der wegen ein paar Maultaschen gekündigt worden war, weil sie diese mit nach Hause genommen hatte, sorgte kurze Zeit später für Aufsehen - sie klagte ebenfalls und bekam recht. Auch dank Emmely.

Maria Holzmüller

CDU-Veteran Heiner Geißler

Quelle: Reuters

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Rang 10: Heiner Geißler (1662 Punkte bei 827 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Als Heiner Geißler kam, war Stuttgart ein Krisengebiet. Ein neuer Tiefbahnhof sollte Baden-Württemberg fit für die Zukunft machen. Tatsächlich katapultierte er das Ländle in die Steinzeit zurück. Statt Argumenten gab es Kastanienwürfe und Schlagstockhiebe, ein Strahl aus dem Wasserwerfer ließ einen Demonstranten auf einem Auge erblinden. Die S21-Gegner beklagten "bürgerkriegsähnliche Zustände". Ministerpräsident Stefan Mappus sprach von Fehdehandschuhen und der Verteidigung des Rechtsstaats. Erst die Eskalation der Gewalt im Schlossgarten am 30. September und beständig sinkende Umfragewerte brachten die schwarz-gelbe Landesregierung dazu, umzusteuern.

Mappus griff einen Vorschlag der Grünen auf und machte Heiner Geißler zum Schlichter. Der rief "alle an einen Tisch" und forderte, es müssten auch "alle Fakten auf den Tisch". Ein Demokratieexperiment sollte es werden, das "Stuttgarter Modell", ein Vorbild für alle zukünftigen Streitfälle. Darunter macht es Geißler nicht. Der heute 80 Jahre alte Polit-Rentner war einst der berüchtigte Generalsekretär der CDU, ein "Hauptfeind aller Liberalen", wie die Süddeutsche Zeitung schrieb. In Stuttgart schaffte der zum Kapitalismuskritiker geläuterte Geißler eine Transparenz, wie es sie in der gesamten Planungsphase von Stuttgart 21 nicht gegeben hatte.

In neun Schlichtungsrunden wurde jedes noch so kleine Detail überprüft, aber bitte ohne Fachchinesisch, das war Geißler wichtig. Millionen Menschen verfolgten die Gespräche im Fernsehen. Am Ende empfahl Geißler: weiterbauen, aber mit Änderungen. Aus "S21" wurde "S21 plus", eine verbesserte Version mit Geißler-Gütesiegel. Für die Bahn könnte das teuer werden, für Mappus könnte es die Wende zum Guten bedeuten. Einige Gegner wollen weiter protestieren, viele dankten dem Schlichter für die Arbeit. Zum ersten Mal habe man sich ernst genommen gefühlt. In Stuttgart herrscht dank Geißler wieder Frieden - vorerst zumindest.

Michael König

Statement Guttenberg

Quelle: dpa

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Rang 9: Karl-Theodor zu Guttenberg (1694 Punkte bei 873 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Er ist der beliebteste, der glamouröseste, der am meisten hervorstechende Minister der Bundesregierung: Karl-Theodor zu Guttenberg, seines Zeichens amtierender Verteidigungsminister. Der Mann ist in diesem Jahr zur Höchstform aufgelaufen und hat geschafft, was bis vor kurzem noch als undenkbar für Unionsparteien galt: die Aussetzung der Wehrpflicht. Dabei fing das Jahr wenig schmeichelhaft an.

Im Kundus-Untersuchungsausschuss musste er sich kritischen Fragen zu der Entlassung zweier Spitzenbeamten des Ministeriums stellen, die ihn angeblich nicht ausreichend über Berichte zu dem Bombardement auf zwei Tanklaster nahe Kundus informiert hätten. Der Angriff war von einem deutschen Oberst befohlen worden. Guttenbergs Aussagen sind nicht frei von Widersprüchen. In der öffentlichen Wahrnehmung aber gewinnt er einen heldenhaften Status. In den Klaschblättern sind die Guttenbergs Dauerbrenner. Inzwischen gilt er wieder als der heißeste Kandidat auf die Nachfolge von Angela Merkel im Kanzleramt.

Thorsten Denkler

RNPS IMAGES OF THE YEAR 2010

Quelle: REUTERS

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Rang 8: Sebastian Vettel (2101 Punkte bei 887 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Nie wieder wird irgendein Mensch auf der Welt diesem jungen Mann seine Nervenstärke absprechen. 23 Jahre und etwas über 100 Tage war Sebastian Vettel erst alt, als er zwei Rennen vor Schluss der Formel-1-Saison recht aussichtslos hinter dem WM-Führenden Fernando Alonso zurücklag. Vettel hatte nur eine Chance: Er musste die verbleibenden beiden Rennen gewinnen, um doch noch Weltmeister zu werden. Eine Situation, in der einen schon mal die Nerven verlassen können.

Vettel verlor die Nerven nicht. Der Heppenheimer ließ sich weder von den Störfeuern von Fernando Alonso irritieren, noch von den penetranten Klagen seines lange Zeit besser platzierten Teamkollegen Mark Webber, der immer wieder nach Vettels Hilfe rief. Vettel gewann tatsächlich beide Rennen, profitierte beim Finale in Abu Dhabi von einer mäßigen Platzierung Alonsos. Mit 23 Jahren und 134 Tagen ist er der jüngste Weltmeister, den die Formel 1 je hervorgebracht hat.

Vettels WM-Titel ist die logische Fortsetzung einer geradlinigen Karriere: Seit er 2004 mit 17 Jahren in einer Nachwuchsserie 18 der 20 Saisonrennen gewann, galt er als herausragendes Talent. Bei seinem ersten Einsatz in der Königsklasse, als Testfahrer vor dem Großen Preis der Türkei im Sommer 2006, bestätigte er diesen Ruf: Auf Anhieb fuhr er die schnellste Runde. In seinem ersten Rennen, das er ein Jahr später in den USA als BMW-Ersatzfahrer absolvieren durfte, holte er prompt seinen ersten WM-Punkt. Weil Vettels Triumph in diesem Jahr dennoch überraschend kam, fachte Deutschland quasi über Nacht seine Formel-1-Leidenschaft wieder an, die nach Michael Schumachers letztem Titel abgekühlt war. Vettels Heimatort, das hessische Städtchen Heppenheim, bereitete dem Weltmeister einen Jubelempfang, benannte sich kurzerhand in "Vettelheim" um. In die nächste Formel-1-Saison geht er nun als Favorit - und das mit nicht einmal 24 Jahren.

Carsten Eberts

Jahresrückblick 2010 - 33 Bergleute in Chile verschüttet

Quelle: dpa

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Rang 7: Die 33 Verschütteten im chilenischen Bergwerk (2126 Punkte bei 821 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Es ist der 5. August 2010, als ein Bergschlag die Kupfer- und Goldmine San José erschüttert. Der Rest der Welt nimmt höchstens am Rande Notiz von dem Unglück in der chilenischen Atacama-Wüste. Nichts deutet darauf hin, dass ausgerechnet die vermissten 33 Arbeiter vom tragischen Schicksal ihrer unzähligen, in den Bergbauregionen der Welt verunglückten Kollegen verschont werden sollen - um stattdessen zu internationalem Ruhm gelangen. Erst ein Zettel, den Chiles Präsident Sebastián Piñera zwei Wochen später in die Kameras hält, bringt die Wende: "Uns 33 geht es im Schutzraum gut", lautet die frohe Botschaft, und von nun an fiebern Menschen in aller Welt bei der Rettung mit.

"Das Wunder von Chile" nimmt seinen Lauf. Kein Wunder ohne Helden - diese Rolle teilen sich Bergleute im Alter von 19 bis 64 Jahren. Durch den ersten Versorgungsschacht lassen die Rettungsarbeiter eine kleine Kamera hinab, tägliche Videos aus 624 Metern Tiefe dokumentieren den Alltag der Verschütteten. Die Bilder zeigen auch, dass die Männer in ihrem Gefängnis unter Tage keinen Lagerkoller kriegen, wie Experten befürchteten. Trotz Gerüchten in der Klatschpresse über Machtkämpfe in der Gruppe, faszinieren die Eingeschlossenen gerade mit ihrem Teamgeist und ihrem Überlebenswillen. Die Bilder der Arm in Arm jubelnden Bergleute gehen um die Welt.

Einzelne tun sich besonders hervor: Der Spaßvogel Mario Sepúlveda übernimmt die Rolle des Moderators, Schichtleiter Luis Urzúa führt die täglichen Versammlungen unter Tage an, der Gruppenälteste Mario Gómez übernimmt die Seelsorge und Yonni Barrios, der Spritzen setzen kann, wird zum "Arzt unter Tage". Auch Franklin Lobos, ein ehemaliger Fußball-Nationalspieler, gehört zu den Verschütteten. Für besonders große Rührung sorgt die Geburt eines kleinen Mädchens im Camp, in dem die Angehörigen ausharren: Auf Wunsch ihres in der Tiefe wartenden Vaters Ariel Ticona bekommt es den Namen Esperanza (Hoffnung).

Nach 69 Tagen Bangen kommen alle 33 Bergleute wohlbehalten an der Oberfläche an, heraufgeholt mit einem schmalen Aufzug - eine Stunde dauerte die Fahrt für jeden Kumpel. Doch die Euphorie der plötzlichen Berühmtheiten bekommt wenige Tage nach der spektakulären Rettung erste Dämpfer: Sepúlveda, der einst quirlige "Reporter unter Tage", ist mit den Nerven am Ende: "Wenn ich an die schönen Augenblicke zurückdenke, die wir erlebt haben, und an die Menschen, die ich lieben lernte, würde ich lieber wieder dort sein." Der "Arzt" Barrios muss mit der Ausbreitung seines Privatlebens in den Boulevard-Medien fertigwerden, nachdem seine Frau im Angehörigen-Camp auf Barrios' langjährige Geliebte gestoßen war.

Auch mehrere Wochen nach ihrer Rettung versucht jeder der 33 Männer auf seine Art, mit dem Rummel fertig zu werden. Ein böses Wort über die Schicksalsgenossen hat noch keiner fallengelassen. Ihre Einkünfte aus Fernsehauftritten und Interviews sammeln die Bergleute in einer Verwertungsgesellschaft; das Geld soll zu gleichen Teilen unter den Geretteten verteilt werden.

Katarina Lukac

Gerettet: der Bergmann Mario Sepulveda (links im Bild).

German presidential candidate Joachim Gauck delivers a speech in Berlin

Quelle: REUTERS

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Rang 6: Joachim Gauck (2274 Punkte bei 861 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Er ist ein Kandidat wie aus dem Lehrbuch. Graumelierte Haare, verbindliches Auftreten, stets gefasst und mit einer Sprachmächtigkeit, die ihresgleichen sucht. Joachim Gauck wird von SPD und Grünen für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen und von Beginn an hat er die Sympathien auf seiner Seite. Im Internet formiert sich eine regelrechte Gauck-Bewegung. Konservative und liberale Vertreter kündigen an, lieber für Gauck zu stimmen, als für den harmlos-blassen Koalitionskandidaten Christian Wulff.

Gauck vereint für viele eine glaubwürdige Lebensbiographie als Regimegegner in der DDR mit einem unverrückbaren Zukunftsoptimismus. Er hält große Reden zur deutschen Einheit, zum Zusammenwachsen des Landes, zu Freiheit und Verantwortung. Seine Reden berühren viele Menschen. Er spricht niemandem nach dem Mund, aber vertritt nachvollziehbare Überzeugungen, während Wulff sich ohne erkennbare Idee durch die Kandidatur nuschelt. Hätten die Bürger am 30. Juni direkt wählen können - Gauck wäre sicher Präsident geworden.

Thorsten Denkler

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Quelle: AP Photo/Time Inc.

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Rang 5: Bibi Aisha (2442 Punkte bei 869 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Bibi Aisha ist eine schöne Frau mit dunklen Augen und vollen Lippen. Wahrscheinlich war auch ihre Nase schön. Doch ein Loch klafft im Gesicht der 19-Jährigen. Ihre Geschichte ist eine afghanische: voller Gewalt. Doch es ist auch die Geschichte einer Frau, die sich nicht brechen ließ, trotz allem. Und es ist die Geschichte der Instrumentalisierung dieser starken Frau. Denn das Bild von Bibi Aisha ging um die Welt, als es das Time-Magazin auf dem Titel druckte, versehen mit der umstrittenen These: "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen". Keine Frage. Eine Feststellung.

Bibi Aisha, die in Wirklichkeit anders heißt, wurde als Kind einem Taliban-Kämpfer geschenkt, um dessen Gelüste nach Blutrache zu stillen. Ein Onkel von Bibi Aisha hatte jemanden aus dem anderen Clan getötet. Um den Kreislauf der Gewalt zu stoppen, sollte das Mädchen leiden - für sie ging die Gewalt weiter. Als Jugendliche musste sie den Mann aus dem verfeindeten Clan heiraten und für seine Familie wie ein Sklavin schuften. Trotz Misshandlungen und Verachtung brachte sie den Mut auf und floh - doch die junge Frau wurde zum Clan zurückgebracht. Der zerrte sie vor ein Taliban-Gericht.

Der Richter urteilte, die unfreiwillige Ehefrau habe Schande über die Familie gebracht. Für diesen Gesichtsverlust durfte der Ehemann Rache nehmen. Er rächte sich furchtbar. Der Mann schleppte die junge Frau in die Berge, schnitt ihr die Ohren ab und die Nase aus dem Gesicht und ließ sie zurück zum Sterben. Doch Bibi Aisha gab nicht auf, sie schleppte sich fort, bis sie Hilfe fand. Schutz fand sie in Kabul, im Frauenhaus der Organisation "Women for Afghan Women". Damit endet die private Geschichte der Bibi Aisha, die stellvertretend für zahlreiche unterdrückte Frauen steht, denen Männer Gewalt antun. Nun beginnt die öffentliche Geschichte der jungen Frau.

In das Schutzhaus kam die Fotografin Jodi Bieber und porträtierte die Frau ohne Nase für das US-Magazin Time, das Bibi Aisha auch das Pseudonym gab. Die junge Afghanin wusste zwar, dass ihr Foto auf ein Cover sollte, kannte aber das Time-Magazin nicht einmal. Aber ihre Geschichte wollte sie erzählen - und hoffte auf eine neue Nase. Doch andere Fotoikonen aus der Vergangenheit, wie das Foto der schreienden, von Napalm verbrannten Kinder in Vietnam, zeigten Gräuel des Krieges und sollten dazu beitragen, die Kämpfe zu beenden. Doch die Time-Redaktion rief neben diesem neuen Bild zu einer Fortsetzung eines Krieges auf: Das passiert, wenn wir Afghanistan wieder den Taliban überlassen, lautete die Nachricht in einer Zeit, in der die Amerikaner immer kriegsmüder wurden. Darf man das, für einen Krieg werben, das Leid instrumentalisieren?

Hier würden Frauenrechte als Kriegsgrund missbraucht, wüteten Kritiker. Anderer Meinung ist Manizha Naderi, Vorsitzende der Organisation, die Bibi Aisha Obdach gab: Erst seit die internationalen Truppen im Land seien, gebe es wieder Mädchenschulen in Afghanistan und sogar Frauen im Parlament. Würden die Streitkräfte ein schwaches Land den Taliban überlassen, wären Frauen in allen Teilen Afghanistans so ausgeliefert, wie es Bibi Aisha war. Die junge Frau ist froh, dass sie in den USA eine Prothese erhielt, eine künstliche Nase verdeckt nun das Loch in ihrem Gesicht. Nun wartet auf Bibi Aisha das, was sie durchhalten ließ: ein Leben in Freiheit. Und hoffentlich ohne Gewalt.

Katja Schnitzler

WM 2010: Deutschland - England

Quelle: ddp

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Rang 4: Thomas Müller (2600 Punkte bei 1015 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Es waren harte Zeiten für ausländische Fußallkommentatoren. Die phonologische Richtigkeit beim Aussprechen der Namen deutscher Nationalspieler war bis zur WM in diesem Jahr ein Glücksspiel. Aus der Not geborene Eigenkreationen wie "Schweinmeister" oder "Poldosky" machten die Runde, schon bald wuchsen angesichts der kaum urtypisch deutsch klingenden Özils und Khediras Zweifel an den Mythen germanischer Fußballkunst. Doch dann kam Thomas Müller. Jener formidable Fußballer, dessen Name an sich schon ein Gedicht ist. Nicht Stefan Meier, nicht Heinz Schmidt - nein, Müller! Thomas Müller!

Noch nicht einmal 21 Jahre hatte dieser Weilheimer Wunderknabe auf der Welt verbracht, da wuchs er zum Hoffnungsträger einer ganzen Fußballergeneration. Zuerst beim FC Bayern, wo er in Louis van Gaal seinem vielleicht größten Fan in die Arme plumpste, und dann in Joachim Löws WM-Elf, die offenbar genau so einen unorthodoxen Lückenaufreißer wie Müller gebraucht hatte. Das Turnier in Südafrika entwickelte sich zu den persönlichen Festspielen des Thomas Müller. Zwei Tore gegen Australien, zwei gegen völlig verdutzte Engländer und ein weiteres gegen Argentinien ließen aus dem unbekümmerten Nobody den WM-Torschützenkönig werden. Es müllerte wieder in Fußballdeutschland - und das 35 Jahre nach den Glanzzeiten eines gewissen Gerd Müller, der seine unendlich vielen Tore in ähnlicher Manier zelebrierte wie sein Namensverwandter.

Nie würde Thomas Müller sich mit einem Samba-Tänzchen an der Eckfahne lächerlich machen - sein Torjubel wirkt stets wie der eines überwältigten Kindes. Und natürlich dieser Lausbubenschmäh: Müller, der daherkommt wie ein zu früh aufgestandener Student mit Stoppelbart und Staksbeinen, bildete bald das TV-taugliche Gegenstück zum biederen Miroslav Klose. Ein schlagfertiger Junge, der nie um einen Spruch verlegen ist, und in Interviews seine Oma grüßt. Zu Kopf gestiegen ist dem bodenständigen Bayern der Erfolg nicht, hatte aber andere Auswirkungen: Nach den Anstrengungen einer langen Saison mit dem Marsch bis ins Finale der Champions League und der anschließenden WM war selbst der Akku des Dauerläufers Thomas Müller leer.

Jonas Beckenkamp

Das geschah 2010 - der interaktive Rückblick von sueddeutsche.de.

File photo of Chinese dissident Liu Xiaobo smiling

Quelle: REUTERS

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Rang 3: Liu Xiaobo (3021 Punkte bei 902 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Seit Jahrzehnten setzt sich der chinesische Intellektuelle Liu Xiaobo für mehr Demokratie und Menschenrechte in seinem Heimatland ein. 2010 wurde ihm dafür der Friedensnobelpreis verliehen. Nach Oslo konnte Liu jedoch nicht reisen, da er seit 2008 in chinesischer Haft sitzt. Auch seiner Frau Liu Xia verweigerten die Behörden die Ausreise.

Der 54-jährige Liu verbrachte einen großen Teil der vergangenen 20 Jahre im Gefängnis, im Hausarrest oder im Arbeitslager. Der Grund für seine jüngste Verhaftung war die Veröffentlichung der "Charta 08" vor den Olympischen Spielen in China. In der Internet-Petition forderte Liu eine neue chinesische Verfassung, demokratische Reformen und Meinungsfreiheit. Bereits 1989 unterstützte er die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens - für den Aktivisten ein Wendepunkt.

In letzter Sekunde rettete er sich und einige Studenten vor den herannahenden Panzern, danach verschrieb er sich dem Ideal der Gewaltlosigkeit. In seinen Schriften wendet er sich gegen Hass und Feindschaft und vertritt die Ansicht, dass eine Veränderung der chinesischen Gesellschaft nur friedlich möglich sei. Die chinesische Regierung reagierte erbost auf die Auszeichnung des Dissidenten und sagte eine Reihe Termine mit Norwegen ab. Auch 18 weitere Länder blieben der Nobelpreis-Zeremonie in Oslo fern, um die Beziehungen zu China nicht zu belasten.

Barbara Vorsamer

Das geschah 2010 - der interaktive Rückblick von sueddeutsche.de.

File photo of WikiLeaks founder Assange holding news conference at the Geneva Press Club in Geneva

Quelle: REUTERS

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Rang 2: Julian Assange (3104 Punkte bei 998 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Er sagt von sich, er sei "Herz und Seele dieser Organisation": Julian Assange wurde als Gründer von Wikileaks bekannt. Der eher unscheinbare Mann, der gerne schmal geschnittene Anzüge und das Haar inzwischen kurz trägt, wurde mit spektakulären Enthüllungen bekannt - über die Internetplattform Wikileaks verbreiteten Assange und seine Helfer zahlreiche brisante und vertrauliche Dokumente, die bei Regierungen in der ganzen Welt für helle Aufregung sorgten.

Besonders spektakulär waren die Veröffentlichung geheimer Militärpapiere zum Krieg in Afghanistan und im Irak sowie ein Video, das zeigte, wie amerikanische Soldaten aus einem Hubschrauber irakische Zivilisten erschießen. Für weltweites Aufsehen sorgte auch die Veröffentlichung Hundertausender Dokumente aus der vertraulichen Kommunikation zwischen US-Diplomaten und dem amerikanischen Außenministerium.

Julian Paul Assange wurde in Australien geboren. Dort studierte er Physik, später lebte und arbeitete der heute 39-Jährige in China, in Iran, den USA und Großbritannien. 2006 gründete er Wikileaks - inzwischen hat er sich mit seiner Internetseite viele mächtige Politiker überall auf der Welt zu Feinden gemacht. Seit Juni wird er von den US-Behörden gesucht, dort wird ein Strafverfahren wegen Geheimnisverrats gegen ihn geprüft. Und Schweden suchte ihn per Interpol, es war ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung. Assange bestreitet die Vorwürfe gegen ihn, die erstmals im August laut geworden waren, vehement. Er spricht von einer Schmutzkampagne gegen ihn und Wikileaks und vermutet das Pentagon hinter den Anschuldigungen. Am 7. Dezember lässt sich Assange in London verhaften.

Sarina Pfauth

Aung Sang Suu Kyi Back To Work In Burma

Quelle: Getty Images

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Rang 1: Aung San Suu Kyi (3571 Punkte bei 1092 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Jahrelang erreichte die Öffentlichkeit kaum Neuigkeiten von der abgeschotteten, unter Hausarrest stehenden Friedensnobelpreisträgerin, stets hieß es: Sie bleibt eingeschlossen. Besuch war verboten, der einzige Kontakt zur Außenwelt ihr Radio. Wer zu der einsamen, aber durchhaltefähigen Oppositionspolitikerin wollte, legte sich mit der Militärjunta von Birma an - und scheiterte meist. Nur ihr Arzt und die Anwälte durften sie dann und wann sehen. Doch nach siebeneinhalb Jahren ging die Nachricht um die Welt: Sie ist frei. Und ungebrochen.

Die 65-Jährige muss einen ungeheuren Willen haben: 15 der vergangenen 21 Jahre verbrachte sie in Isolation in ihrem Haus in Rangun, getrennt von der Familie. Doch in der ersten Rede nach ihrer Freilassung im November, kurz nach einer umstrittenen Parlamentswahl, die die Junta für haushoch gewonnen erklärte, plädierte Aung San Suu Kyi nicht nur für Aussöhnung, sondern auch für friedlichen Widerstand, um Birma Demokratie zu bringen: "Mut bedeutet, dass wir uns beharrlich für das einsetzen, woran wir glauben...Mut bedeutet nicht, seine physische Kraft einzusetzen und laut zu werden", sagte sie mit Blick auf das Militärregime (Übersetzung des Exil-Magazins Irrawaddy) vor mindestens zehntausend Anhängern, die ihr Idol in der Freiheit begrüßten.

Aung San Suu Kyi könnte die Frau sein, die das vom Militär gelähmte Land ein wenig öffnet, und damit in die Geschichte eingehen wie Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela. Trotz der jahrelangen Isolation versichert sie, keine Rachegefühle gegen die Junta zu hegen. Während ihr die Militärs Destabilisierung des Landes vorwarfen und sie wegsperrten, sobald ihre Popularität zu groß erschien, wurde sie für ihren gewaltlosen Kampf für ihr Land 1991 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Geopfert hat sie für ihren Traum eines freien Birma schon mehr, als die meisten anderen zu geben bereit wären. Doch frei, sagt sie, habe sie sich dennoch stets gefühlt.

Katja Schnitzler

© sueddeutsche.de/kaeb/kat
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