Süddeutsche Zeitung

Politische Kommunikation:Wenn lustige Bildchen Wahlen mitentscheiden

Memes sind nicht nur lustig, sondern längst politisch. In den USA sind die Bilder nicht mehr aus dem Wahlkampf wegzudenken - in Deutschland setzen Unions-Anhänger zunehmend darauf.

Von Leopold Zaak

Der designierte US-Präsident Joe Biden weiß, wie es ist, wenn man zum Meme wird. Als die Amerikaner vor vier Jahren Donald Trump zum Präsidenten wählten, lenkte sich das liberale Internet mit Memes ab, also lustigen Bild-Text-Kombinationen, die auf Twitter und Facebook verbreitet wurden. In der Hauptrolle damals: ein bockiger Vizepräsident Biden, der sich Streiche ausdenkt, um Trump den Amtsantritt zu verderben. Millionenfach wurden diese Bilder damals geteilt.

Vier Jahre später wird Biden, das Meme-Phänomen aus dem Jahr 2016, nun selbst Präsident. Nach einem Wahlkampf, in dem Internet-Memes eine große Rolle gespielt haben. Und nach einer Wahl, die der Sender CNN schon im Februar 2020 die "Meme-Wahl" genannt hatte.

Memes sind längst Teil der politischen Auseinandersetzung. Bei der Onlineplattform 9Gag sind diese mit Bezug zur US-Wahl nicht mehr zählbar, ebenso wenig wie die auf Twitter oder in privaten Chatforen. Dan Pfeiffer, der ehemalige Kommunikationsdirektor von Barack Obama, schreibt Anfang 2020 dazu in einem Text für die Zeitschrift Wired: "Jede politische Entscheidung, jedes Interview, jeder Tweet, jedes Meme, Video oder Foto muss als ein Inhalt betrachtet werden, der dafür genutzt werden kann, Wähler zu überzeugen." Ein Bild mit einem lustigen, ironischen Text ist im digitalen Wahlkampf im Zweifel also genauso wichtig, wie ein politischer Plan für den Klimawandel.

Memes waren ursprünglich nicht politisch. Sie wurden zu einem viralen Internetphänomen, weil sie vornehmlich eines waren: lustig. Sie bestehen meistens aus Textschnipseln und sogenannten Imagemakros, also Bildern, die immer wieder als Vorlage für neue Memes dienen. Die Imagemakros kommen oft aus Filmen oder Serien und werden mit Text in einen neuen Zusammenhang gestellt. So wird ein Bild mit der Figur Boromir aus Herr der Ringe, der eigentlich mit dem Satz "One does not simply walk into Mordor" vor der Welt des Bösen warnt, ein Appell, nicht auf Trumps Vorschlag zu hören, sich gegen das Coronavirus Desinfektionsmittel zu spritzen.

"Memes funktionieren im Wahlkampf so gut, weil sie ein sehr niedrigschwelliger Zugang zur politischen Teilhabe sind", sagt Lars Bülow. Der Germanist von der Uni Wien forscht seit Jahren zu Memes und deren Bedeutung für den politischen Raum. Weil sich solche Bilder leicht selbst produzieren und noch leichter verbreiten lassen, waren sie schon früh für politische Bewegungen, wie etwa die Klimabewegung, ein wichtiges Mittel zur Kommunikation. "Seit einigen Jahren werden sie aber auch von politischen Akteuren dafür genutzt", sagt Bülow.

Donald Trump verbreitete im US-Wahlkampf viele Memes

Und das aus gutem Grund. Politische Memes scheinen gut in unsere Zeit zu passen. Immer mehr Menschen informieren sich im Internet und haben sich an verknappte und leicht konsumierbare Nachrichten gewöhnt. "Gerade junge Menschen sind mit Memes im Internet sozialisiert, das macht sie zu einem ernstzunehmenden Medium für die Politik."

Das war auch im US-Wahlkampf 2020 zu beobachten. Vor allem Donald Trump, der in seiner Amtszeit den Wahlkampfmodus nie beendet hatte, verbreitete auf seinem Twitterkanal viele Memes, um Stimmung für sich oder gegen Medien und die Demokraten zu machen. Es kursierten aber natürlich auch sehr viele Bilder auf Social Media, die sich gegen Trump richteten. Diese wurden jedoch, soweit bekannt, nicht von Biden oder seiner Kampagnenchefin verbreitet.

Für Trump zog auch sein Umfeld mit Memes in den Wahlkampf. Der Instagram-Account von Trumps Sohn Donald Junior zeigt schon bei der Profilbeschreibung, was einen erwartet. Er selbst nennt sich dort "King of the Meme Wars", und tatsächlich hat man das Gefühl, Donald Trump Junior führe dort eine Art Krieg: gegen die Medien, gegen die Linken, gegen Joe Biden. Die Bilder ähneln inhaltlich dem, was sein Vater twittert: Die Medien seien fake, die Demokraten wollten den Kommunismus und Joe Biden sei kurz vor der Demenz. Die meisten seiner mehr als 4000 Posts haben mehrere Hunderttausend Likes und Tausende Kommentare.

Oft verteidigen seine Postings auch die Entscheidungen des Präsidenten und verfolgen somit eine klare politische Botschaft. Auf den Bildern werden Donald Trump Zitate zugeschrieben oder zeigen ihn in heldenhaften Posen.

"Wenn politische Entscheidungsträger solche Memes teilen, erzeugt das eine hohe Symbolkraft", sagt Bülow. Dass sich Memes so gut eignen, um politische Inhalte oder Aussagen zu platzieren, hat für Bülow mit dem Zusammenspiel von Bild und Sprache zu tun. "Auf Memes wird die geschriebene Sprache immer mehr zur gesprochenen Sprache, zum Beispiel, wenn ein Dialog abgebildet wird", sagt er. Durch Kasusfehler oder Ellipsen werde eine sprachliche Nähe erzeugt. Grammatikalische Ungenauigkeiten lassen die Aussagen authentisch und somit glaubwürdig erscheinen.

Memes spielen oft mit gefühlten Wahrheiten. Das ist nicht ungefährlich

Das mache Memes im Wahlkampf auch zu einem Risiko, meint Lars Bülow. "Memes und Fake News lassen sich nur schwer unterscheiden." Im US-Wahlkampf 2016 machte ein Bild in den sozialen Medien die Runde, auf dem der junge Donald Trump damit zitiert wird, dass er als Präsident nur für die Republikaner kandidieren würde, weil sie die dümmsten Wähler hätten und alles glauben würden, was bei Fox News gesendet wird. Trump hat das nie gesagt, aber das Bild ging damals viral, weil es vielen ins Weltbild passte. Genügend Leute hatten geglaubt, dass er es gesagt haben könnte.

Auch bei dieser Wahl spielten Memes oft mit gefühlten Wahrheiten. Der Wahlsieger Joe Biden gilt als "touchy", also als jemand, der gerne andere Menschen berührt und umarmt, manchmal an ihnen riecht. Diese Eigenart wurde auf unzähligen Postings dazu benutzt, ihm unterschwellig sexuelle Belästigung oder gar pädophile Neigungen zu unterstellen.

Die unkontrollierbare Verbreitung - also einer der Erfolgsfaktoren von Memes - macht sie zu einer einfachen Form der politischen Teilhabe, aber eben auch zu einer potenziellen Gefahr für demokratische Wahlen.

Wie groß der tatsächliche politische Einfluss von Memes im Wahlkampf ist, weiß niemand so wirklich. Nach der Wahl 2016 hieß es, Trump habe den "Meme-Krieg" gewonnen. Ein Jahr später erschien ein Buch mit der These, Memes hätten ihn ins Amt gehoben. Aber dass jemand Wahlen gewinnt, weil er oder sie die besseren Bilder geteilt hat, ist nicht belegt. "Man unterstellt Memes oft eine sehr große Rolle", sagt Lars Bülow. Wirkungsforschung gebe es aber bisher kaum.

Fest steht: Memes werden in der politischen Auseinandersetzung auch in Deutschland zunehmend wichtiger. "In Deutschland sehen wir Memes vor allem als eine Bottom-up-Bewegung", sagt Lars Bülow. Die Bilder werden also nicht wie in den USA von politischen Entscheidungsträgern gepostet, um damit Wählerstimmen zu bekommen, sondern sind meist Teil einer politischen Bewegung aus der Gesellschaft. "Aus der Klimabewegung oder dem politischen Feminismus können wir da viel beobachten", sagt er.

Auf Seiten der Parteien ist diese neue Form des digitalen Wahlkampfs noch nicht wirklich angekommen. Anfänge gibt es auf der konservativen Seite. Die Instagram-Seiten CDU Memes und CSU Memes haben zusammen seit vergangenem Jahr etwa 16 000 Abonnenten. Mit einer Mischung aus Selbstironie und gezielten Angriffen auf politische Gegner, vor allem die Grünen, scheint der Wahlkampf dort eröffnet zu sein. Und diese neue Form der politischen Kommunikation wird auch von Spitzenpolitikern ernst genommen. Friedrich Merz etwa, der bei der Jungen Union hohe Beliebtheit genießt, CDU-Vorsitzender und Bundeskanzler werden will, teilt seit Kurzem Inhalte der beiden Seiten.

Die deutsche Politik ist jedoch dieser Entwicklung aus Amerika um einige Jahre hinterher. Bis Memes also in Deutschland im Wahlkampf genauso wichtig werden, dürfte es noch dauern.

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