Süddeutsche Zeitung

Meinungsfreiheit und Demokratie:Spott über Gott

Der Kabarettist Dieter Nuhr wird angezeigt, weil er sich über den Islam lustig macht. Doch der Koran steht genauso wenig über dem Grundgesetz wie die Bibel. In einer Demokratie müssen Gläubige Spott über ihre Religion aushalten.

Kommentar von Heribert Prantl

Der Kabarettist Dieter Nuhr ist angezeigt worden, weil er über eine Religion, nämlich über den Islam, gespottet hat. Darf er das nicht? Man erinnert sich an die weltweite Erregung, an die wütenden und gewalttätigen Proteste, die vor ein paar Jahren die Mohammed-Karikaturen ausgelöst haben. Natürlich darf der Kabarettist spotten; er darf spotten, selbst wenn er es plumper täte, als er es tut. Der Spott gehört zum Kabarett; der Spott gehört zur Aufklärung; der Spott - auch über eine Religion, über ihre Führer und Heiligen - ist Teil der Meinungsfreiheit, also ein Grundrecht.

Man muss die Aufklärung verteidigen gegen eine Religionsauslegung, welche die Ausübung von Grundrechten für Blasphemie hält. Gewiss: Kritik an der Religion und Spott gegen die Religion können religiöse Gefühle verletzen. Aber die bloße Verletzung von Gefühlen ist nicht strafbar. Und die Strafbarkeit der Gotteslästerei ist längst abgeschafft. Es ist Kennzeichen des modernen aufgeklärten Staates, dass er dem Drang von Religionen und Heilslehren entgegentritt, den öffentlichen Raum nach ihren Glaubensüberzeugungen zu gestalten und ihre Grundsätze über die Grundrechte zu stellen.

Zum modernen Staat gehört auch, dass Minderheiten geschützt werden. Der Islam ist in Europa eine starke religiöse Minderheit, er ist ein Teil Deutschlands; 150 Moscheen stehen in deutschen Städten, die Hinterhof-Moscheen nicht mitgezählt. Verlangt der Minderheitenschutz danach, die kleinere Religion stärker zu schützen als die große? Ist der Prophet Mohammed empfindlicher als Jesus? Ist Allah schneller beleidigt als der Gott der Christen? Ist also der Islam strafrechtlich schutzbedürftiger als das Christentum?

Die Fragen klingen ein wenig absurd, sind es aber nicht. Das Strafrecht hat, als es die sogenannte Blasphemie, die Gotteslästerung, im Jahr 1969 neu formulierte, einen Fehler gemacht. Es wollte die Strafbarkeit von Straftaten wider Gott und die Religion stark einschränken, es wollte nicht mehr die bloße Verletzung von religiösen Gefühlen bestrafen. Es hat daher die Strafbarkeit der "Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen" daran geknüpft, dass diese Beschimpfung "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Die gut gemeinte Formulierung des Gesetzes führt aber zu einem schlechten Ergebnis: Sie führt dazu, dass es von der Militanz von Religionsanhängern abhängt, ob ein Spötter wider Gott und Religion sich strafbar macht oder nicht.

Der frühere Papst Benedikt hat dieses Strafrecht, als er noch Münchner Kardinal war, zutreffend als Aufforderung zum Faustrecht kritisiert. Seine Forderung, den alten Gottesläster-Paragrafen beizubehalten, war freilich genauso falsch; bestraft wurde damals jeder, der "dadurch, dass er in beschimpfender Weise Gott lästert, Ärgernis gibt". Aber: Bloße Ärgernisse können und dürfen nicht strafbar sein, sonst würde man mit dem Strafen gar nicht mehr fertig. Im Übrigen: Ist es nicht ein noch viel größeres Ärgernis als der Spott wider Gott, wenn einer glaubt, seinen Gott mit einem deutschen Staatsanwalt schützen zu müssen?

Weder Bibel noch Koran stehen über dem Grundgesetz

Jegliches Religionsstrafrecht muss abgeschafft werden. Jegliche Kritik, jeglicher Spott darf sein - Grenze ist die Volksverhetzung. Bestraft werden muss, wer zum Hass gegen bestimmte Teile der Bevölkerung aufstachelt. Das ist strafrechtlicher Minderheitenschutz.

Die christlich geprägte Gesellschaft hat lange mit Religionskritik gerungen, bis sie diese schließlich akzeptiert hat. Noch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ist voll von einschlägigen Fällen. Sie reichen von George Grosz, der 1928 den Christus am Kreuz mit einer Gasmaske gezeichnet und darunter "Maul halten und dienen" geschrieben hat, bis hin zu den Filmen von Monty Python, Achternbusch, Scorsese. Die Christen haben akzeptiert, dass es eine Auseinandersetzung mit ihrer Religion gibt, die vielen von ihnen nicht gefällt, die aber zu einem freiheitlichen Gemeinwesen gehört. Auch Spott über Gott gehört zu den Rechten der Nichtgläubigen. Und es gehört nicht zum Rechtsfrieden, diese Kritik und diesen Spott zu unterbinden. Der Rechtsfrieden verlangt, dies auszuhalten. Die friedliche Austragung solcher Konflikte ist Teil der demokratischen Leitkultur. Man nennt das Aufklärung. In multikulturellen Gesellschaften ist sie besonders wichtig.

Die Leitkultur fordert viel - sie fordert Toleranz. Vielleicht ist das Wort Respekt besser als das Wort Toleranz. Integration basiert auf dem Respekt voreinander. Dieser Respekt nimmt niemandem seine Religion, sein Kopftuch, seine Lebensgewohnheiten weg. Er setzt aber voraus, dass heilige Bücher nicht über oder gegen die Leitkultur gestellt werden. Auch der Koran steht nicht über dem Grundgesetz.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2014/leja
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