Meinungsforschung:Merkel lässt sich überraschend stark von Umfragen leiten

Abwägend und sachlich, so wird Merkels Politikstil oft beschrieben. Dass sie sich verblüffend stark an Meinungsumfragen orientiert, zeigen nun veröffentlichte Dokumente. Demnach beauftragte die Kanzlerin zuletzt 150 Umfragen pro Jahr. Unklar ist, ob sie die Erkenntnisse auch im Wahlkampf nutzte.

  • Kanzlerin Merkel lässt sich in ihren politischen Aussagen deutlich stärker von Meinungsumfragen beeinflussen als bisher bekannt. Das zeigen Recherchen des Nachrichtenmagazins Spiegel.
  • Unterlagen, die das beweisen, wurden erst nach einem Antrag des Grünen-Politikers Malte Spitz öffentlich gemacht.

Hunderte Umfragen des Bundespresseamts

Hunderte jetzt öffentlich gewordene Umfragen beweisen, wie umfassend sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für politische Positionen und Formulierungen Rat bei Meinungsumfragen holt. Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, ist die Arbeit der Kanzlerin deutlich stärker von den Ergebnissen von Bürgerbefragungen beeinflusst als bislang vermutet.

In der 2013 zu Ende gegangenen Wahlperiode gab das Bundespresseamt dem Bericht zufolge etwa 600 Befragungen in Auftrag, für zwei Millionen Euro im Jahr. Die Ergebnisse der Umfragen waren bislang unveröffentlicht.

Wie der Spiegel berichtet, ließ das Bundespresseamt wichtige Regierungsvorhaben regelmäßig bei den Bürgern abfragen. Regierungssprecher Steffen Seibert leitete die Erkenntnisse demnach an Merkel weiter. Ergebnisse der Umfragen finden sich dem Bericht zufolge regelmäßig in Äußerungen der Kanzlerin wieder.

Frappierende Ähnlichkeiten zwischen Umfragen und Regierungshandeln

Demnach sollte das Institut Emnid vor der Klimakonferenz in Kopenhagen im Jahr 2009 herausfinden, welche Klimapolitik von den Bürgern gewünscht wird. Einige Aussagen der Studie tauchten dem Bericht zufolge später fast wortgleich in einer Regierungserklärung auf, die die Kanzlerin im Bundestag hielt. Auch bei der Aussetzung der Wehrpflicht seien Übereinstimmungen zwischen internen Umfragen und Merkels Handeln erkennbar.

Ging es auch um Parteiinteressen?

Unklar bleibt, ob Merkel das exklusive und umfangreiche Wissen über die Einstellungen der Deutschen nur für ihr Handeln als Kanzlerin oder auch im Wahlkampf genutzt hat.

Der Bundesrechnungshof jedenfalls hält es für unzulässig, Umfragen zu erheben, die parteipolitischen Interessen dienen. Regierungssprecher Seibert kann dem Spiegel zufolge bei den nun bekannt gewordenen Vorgängen kein Fehlverhalten ausmachen. "Das Bundespresseamt bewegt sich innerhalb seines Auftrags und der dabei zu beachtenden Grenzen", zitiert ihn das Magazin.

Freigabe erst nach juristischem Kampf

Öffentlich wurden die Dokumente erst durch einen Rechtsstreit des Grünen-Politikers Malte Spitz. Er hatte mit einem Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz auf die Herausgabe geklagt. Das Bundespresseamt konnte sich vor dem Berliner Verwaltungsgericht letztlich nicht gegen die Herausgabe der Unterlagen wehren.

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