Türkei-Hilfe:Es wäre falsch, Nein zu sagen

Die türkische Regierung verletzt Menschenrechte, setzt demokratische Regeln außer Kraft und wettert gegen den Westen. Dennoch sollte Deutschland in der aktuellen Krise helfen - aus drei Gründen.

Kommentar von Stefan Braun

Der erste Reflex sagt: Das kommt nicht in Frage. Nicht nach dieser Vorgeschichte; nicht nach den Provokationen der vergangenen Monate und Jahre, in denen vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan abwärts kaum ein Politiker der türkischen Regierungspartei AKP darauf verzichtete, immer wieder gegen Deutschland und die EU zu wettern.

Noch immer sitzen Deutsche in türkischer Haft, ohne dass ihnen ein Vergehen nachgewiesen werden könnte. Noch immer werden in der Türkei Menschenrechte massiv verletzt; noch immer sind demokratische Regeln außer Kraft gesetzt, regiert ein Präsident mit Vollmachten, die Gewaltenteilung und demokratische Kontrollen weitgehend unmöglich machen. Diesem Land soll Deutschland nun helfen? Nein, so sagt es das Gefühl, das sollte man nicht machen.

Dieses erste Gefühl aber führt in die Irre. Denn nach Jahren, in denen Erdoğan glaubte, er sei unverwundbar, bekommt er nun zu spüren, wie schnell und hart sich Fehler in große Krisen auswachsen. Noch nie hat Erdoğan so deutlich erkennen müssen, dass seine Macht Grenzen hat und seine Allmachtsfantasien vor allem eines sind: eine gefährliche Selbsttäuschung.

Die Türkei braucht Freunde und Partner; sie braucht gute und stabile Beziehungen. Erdoğan erlebt nun, dass er Kooperationen benötigt. Gerade seine Beschlüsse, alleine gefasst und in dem Streben, möglichst unabhängig zu erscheinen, haben sein Land in eine schwere wirtschaftliche Krise geführt.

Nun könnte man in Berlin lächelnd zuschauen, wie dieses große Land taumelt. Aber intelligenter und klüger ist es, Ankara Hilfe anzubieten. So umstritten der Vorschlag von SPD-Chefin Andrea Nahles sein mag, so richtig ist er auch. Er signalisiert mehrere Botschaften in einer. Erstens: Man zählt die Türkei nach wie vor zu seinen Partnern, auch wenn sie zu den kompliziertesten gehört. Zweitens: Man ist nicht bereit, anderen die Rolle des Verbündeten zu überlassen. Russland und China warten nur darauf, eine solche Lücke zu schließen.

Und drittens - und das ist neben der geostrategischen Analyse vielleicht am wichtigsten - zeigt man nicht nur den achtzig Millionen Menschen in der Türkei, sondern auch den mehr als drei Millionen türkisch-stämmigen Menschen in Deutschland, dass Deutschland trotz aller Konflikte ein solidarisches Herz hat. Wenn westliche Demokratien, wenn Europa und Deutschland beweisen wollen, dass sie anders sind als die neuen Autokraten, dann müssen sie in Momenten der Krise ein solches Zeichen setzen.

Das heißt mitnichten, Ankara einfach Geld zuzuschieben. Es heißt möglicherweise, die Hermes-Bürgschaften für ein deutsches Engagement in der Türkei wieder raufzusetzen - und es heißt vor allem, Erdoğan und seiner Regierung deutlich zu machen, was gegenseitige Hilfe bedeutet.

Das nämlich bedeutet nicht, Menschen ungerechtfertigter Weise ins Gefängnis zu werfen, demokratische Regeln außer Kraft zu setzen oder Menschenrechte mit Füßen zu treten. Es bedeutet, dass die Führung in Ankara in diesen Fragen nachprüfbar umdenkt.

Erdoğan hat den Ausnahmezustand beendet, und die türkische Justiz hat einzelne Journalisten freigelassen. Ankara weiß also genau, um was es geht, wenn es jetzt um Hilfe bittet.

Aus diesem Grund wäre es falsch, Nein zu sagen. Es wäre richtig, ein Angebot zu machen, an das man Bedingungen knüpft. Dazu gehören auch deutliche Botschaften, was Berlin unter Partnerschaft versteht und was es mit dem Wort Freundschaft verbindet. Diese Gelegenheit hat es seit Jahren nicht gegeben. Die Bundesregierung sollte sie nicht verstreichen lassen.

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:Özdemir: Hilfe für Türkei nur unter Bedingungen

Damit pflichtet der ehemalige Grünen-Chef der Union bei. Bevor Geld an Erdoğan fließe, müsse der "alle aus dem Gefängnis entlassen, die dort nicht hingehören".

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