Koalitionsausschuss:Endlich ein bisschen Vernunft

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Mühsam schaffen Union und SPD beim Diesel und der Fachkräftezuwanderung so etwas wie die Rückkehr zur Verantwortung. Aber reicht das, um vor den Landtagswahlen wieder auf die Beine zu kommen?

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Alles hat seine Zeit, sagt man. Diese Koalition aber hatte absolut keine Zeit mehr zu verlieren, wollte sie wenige Wochen vor den wichtigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen noch mal so etwas wie Vernunft aufblitzen lassen. Dass es nun im Streit um die Reaktion auf den Diesel-Skandal und im Konflikt um die Fachkräftezuwanderung eine Einigung gibt, ist eine gute Botschaft. Endlich. Sie ist überfällig.

Jahrelang konnten sich Union und SPD, konnten sich auch die zuständigen Fachminister auf keine Linie bei der Diesel-Nachrüstung verständigen. Der Skandal durch die Autobranche ist längst zum Skandal der Politik angewachsen. Dass die Koalition mit der Kanzlerin an der Spitze diesen Zustand so lange toleriert hat, ist mit Vernunft nicht mehr zu erklären.

Kaum ein politisches Versäumnis hat so sehr an der Regierung, ihrer Handlungsfähigkeit und ihrem Verantwortungsgefühl zweifeln lassen. Bei kaum einem lag es so auf der Hand, dass die Politik handeln musste. Umso verwunderlicher ist es, dass es sich so lange hinzog. Niemand soll noch sagen, dafür habe es plausible Gründe gegeben. Selten ist die Rollenverteilung zwischen Betrügern und Betrogenen so eindeutig gewesen.

Das Land braucht eine feine Sortierung zwischen Arbeitsmigration und Asyl

Nicht anders liegen die Dinge bei der Fachkräftezuwanderung. Natürlich ist das Thema emotional viel aufgeladener, seit sich die Flüchtlingspolitik und alles, was sich darum rankt, zu einem so großen Streitthema zwischen CDU und CSU entwickelt hat.

Trotzdem steht außer Frage, dass Deutschland dringend eine feine Sortierung zwischen Arbeitsmigration und Asyl benötigt. Und es steht außer Frage, dass eine vernünftige Lösung für alle benötigt wird, die sich mit Fleiß und Eifer auf dem Arbeitsmarkt integriert haben.

Letzteres im Übrigen ist nicht etwa eine asylpolitische Wohltat, sondern eine Verpflichtung gegenüber den Tausenden von Handwerkern, Familienbetrieben, Brauereien und sonstigen Arbeitgebern, die im schwierigen Jahr 2015 den Mut und die Entschlossenheit hatten, auf den Hilferuf der Politik zu reagieren. Es wäre nachgerade absurd, wenn man sie im Nachhinein für ihr Engagement bestrafen würde.

Die Lösung ist an dieser Stelle allerdings auf halber Strecke stecken geblieben. Dass Geduldete eine Chance bekommen, ist gut; dass all jene, die sich in eine Ausbildung stürzten und nun beruflich gut integriert sind, nicht mit einer Stichtagsregelung geschützt werden, ist absurd.

Ja, ein genereller Spurwechsel wäre falsch, weil er viele auch aktuell auf die falsche Fährte locken würde. Aber nach dem Ausnahmejahr 2015 wäre es keineswegs falsch, für jene, die damals kamen, eine Ausnahme zu machen. Mit Hilfe eines Stichtags, der längst vorbei ist und deshalb heute keine Anreize mehr bieten könnte.

Und so bleibt auch auf dieser Einigung ein betrüblicher Schatten. Aber vielleicht, das könnte die Hoffnung sein, breiten sich Vernunft und Verantwortung ja wieder aus in dieser Regierung, nachdem sie monatelang in der Lage war, das eigene Image durch unangemessene Streitereien selbst anzugreifen.

Ärgerlich ist nicht nur, dass das erst gelang, als die Umfragewerte und Prognosen vor den Landtagswahlen wie noch nie in den Keller sackten. Dabei ist längst klar, was die Herausforderung durch eine immer aggressivere AfD und einen anwachsenden Rechtsradikalismus eigentlich von einer Regierung verlangt.

Sie verlangt Vernunft, Kompromissfähigkeit und eine ruhige Sprache. Auch und vor allem untereinander. Nichts davon hatte die Koalition zuletzt zu bieten. Umso wichtiger ist es, dass die Einigung von Montagabend keine Ausnahme bleibt, sondern zur neuen Regel dieser Regierung wird. Zum Vorbild fürs weitere Handeln und Regieren.

Gelingt das nicht, dann darf sich niemand mehr wundern, wenn die extremen Kräfte immer weiter wachsen. Zuletzt mussten sie dafür gar nichts tun. Es reichte, dieser Regierung beim Streiten zuzusehen. Das darf die Kanzlerin, das dürfen CDU, CSU und SPD nicht länger zulassen.

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