Regierungsbildung:Das Lamentieren über die Groko-Verhandlungen klingt sehr deutsch

Trotz der Schwierigkeiten auf der Zielgeraden: Union und SPD haben sich in bemerkenswert kurzer Zeit auf bemerkenswert viel geeinigt. Die Fehler bei der Regierungsbildung wurden weit vorher gemacht.

Kommentar von Joachim Käppner

Später wird die Regierungsbildung einmal als historisch gelten, wegen der großen Reformprojekte, aber auch wegen der reibungslosen Verhandlungen zuvor. Wo es an "inneren Übereinstimmungen" fehle, so dozierte ein prominenter Sozialdemokrat, spiele das keine Rolle für das große Ganze. Um die hier wie dort alarmierte Basis zu beschwichtigen, vermieden die Partner Interviewgefechte über strittige Punkte und ließen nur verlauten, die Beratungen verliefen freundlich im Ton und konstruktiv in der Sache.

Der prominente Sozi hieß Helmut Schmidt, und so war es damals, 1969, als SPD und FDP in der sozialliberalen Koalition eine Zeit gewaltigen Wandels einleiteten: neue Ostpolitik, soziale Reformen, mehr Demokratie wagen. Damit verglichen erscheint alles, worauf sich SPD und Union wohl auf der Zielgeraden irgendwie einigen werden und worüber sie bis zur letzten Minute lauthals gestritten haben, recht bescheiden: Verbesserungen in der Pflege, dem Wohnungsbau, der Bildung; beim Klima sieht es schlechter aus. Immerhin wollen sie gemeinsam mit Emmanuel Macrons Frankreich die EU neubeleben (und dabei beim Geld weniger stur sein). Bei Gelingen könnte Europas Wiedererwachen, während in den USA Wahn und Wirrheit regieren, vielleicht einmal als bedeutsamstes Werk dieser neuen Bundesregierung gelten; bei den Verhandlungen im Treibhaus des Hauptstadtbetriebs erschien Außenpolitik aber wie eine Nebensache.

Der Prozess der Regierungsbildung trug unwürdige Züge

Die Bürger haben die monatelangen Versuche, eine Regierung zu finden, irritiert bis verärgert verfolgt; viel Zustimmung erhielt, wer forderte, die Unterhändler müssten "endlich" zu Potte kommen oder "liefern". Mehr als vier Monate nach der Bundestagswahl standen SPD und Union unter gewaltigem Druck - der Wähler, die ein Ende der Berliner Wirren verlangten, besonders im Falle der SPD und auch der CSU auch der eigenen Basis, die voller Argwohn jedes noch so kleine Zugeständnis verfolgte. Und noch droht der Mitgliederentscheid der Sozialdemokraten.

Der Prozess der Regierungsbildung seit Ende September trug tatsächlich unwürdige, ja destruktive Züge. Aber das ist am wenigsten die Schuld jener, die nun den gemeinsamen Nenner ausgelotet haben. Ihnen gelang es sogar, eine baldige Einigung immer vorausgesetzt, sich in bemerkenswert kurzer Zeit auf bemerkenswert viel zu einigen; zwar nicht auf ein hehres "Projekt", wie es neudeutsch heißt, aber doch auf eine Fortsetzung der großen Koalition, die das Land ja keineswegs ins "Staatsversagen" geführt hat, das die Lamentierer aller Couleur so laut beklagen. Die Fähigkeit zum Kompromiss und zur Zusammenarbeit auch unter schwierigen Umständen ist eine Stärke der Demokratie und keine Schwäche.

Die Fehler wurden vor diesen Verhandlungen gemacht, und sie haben das ohnehin brüchige Vertrauen in die Parteien weiter beschädigt: der trotzige Schwur des Verlierers Martin Schulz in der Wahlnacht, nicht wieder in eine Groko zu gehen, und der politische U-Turn, der folgte; das Hasenpanier der FDP, die Eigenverantwortung zwar predigt, selber aber scheute; der Eindruck beim Wähler, politische Eigensucht sei stärker als der Gemeinsinn. Für die neue Regierung bedeutet all dies harte Arbeit, im Erfolgsfall wird sich der Mantel gnädigen Vergessens über die Berliner Chaosmonate legen.

Als wolle sich die Politik selbst auf den Arm nehmen, möchten SPD und Union übrigens den Abschuss von Wölfen im deutschen Wald erlauben. In den meisten Staaten der Erde dürfte allein das den berechtigten Wunsch wecken, auch nur solche Probleme zu haben wie diese Deutschen.

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