Wer Intendant eines Theaters ist und nach aktuellem Stoff sucht, der sollte dieses Drama von 1958 zur Hand nehmen: "Biedermann und die Brandstifter". Darin erzählt Max Frisch von einem Haarwasserfabrikanten, der zwar Angst vor Brandstiftern hat, trotzdem aber zwei verdächtigen Männern Obdach in seinem Haus gibt. Selbst als sie Kanister auf seinen Dachboden schleppen, will er nicht glauben, dass sie vorhaben, sein Haus anzuzünden. Wo er doch so gastfreundlich ist. "Man muss Vertrauen haben", sagt Biedermann, "man soll an das Gute in den Menschen glauben, nicht an das Böse - und überhaupt."
Sechzig Jahre später sind viele Brandstifter im Land unterwegs. Die größte Gefahr geht dabei nicht von denjenigen aus, die durch Chemnitz ziehen, den Hitlergruß zeigen und Menschen treten. Diese Brandstifter sind für jedermann erkennbar. Die größte Gefahr sind diejenigen, die versuchen, diese Herrschaften zu nobilitieren und zu legitimieren. Bei Max Frisch hießen die Brandstifter Schmitz und Eisenring. Heute in Deutschland heißen sie Gauland, Laatsch, Weiß, Weidel, Blex, Frohnmaier, Höcke... man weiß gar nicht, bei wem die Aufzählung beginnen und bei wem sie enden soll.
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Nachdem immer mehr Politiker eine Reaktion des Innenministers gefordert hatten, hat er sich erstmals geäußert. Bundeskanzlerin Merkel zeigt sich entsetzt über den "Hass auf der Straße".
Es handelt sich ausnahmslos um Abgeordnete der AfD, die gewählt wurden, weil viele Bürger offensichtlich an das Gute in diesen Menschen geglaubt haben, nicht ans Böse. Diese Politiker nutzen ihr Mandat aber so gut wie nie, um an die Regeln von Rechtsstaat und Demokratie zu erinnern, oder um mäßigend auf ein Milieu einzuwirken, in dem sie Gehör fänden. Im Gegenteil, zahllose Abgeordnete der AfD nutzen jetzt auch das Wochenende von Chemnitz, um ihre Verachtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf die Bühne zu bringen.
Der Bundestagsabgeordnete Frohnmaier: "Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach! Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende 'Messermigration' zu stoppen!" Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Blex: "Das deutsche Wahlvieh zum Schlachten freigeben und tadeln, wenn es sich wehrt ..." Dessen Berliner Kollege Laatsch, dort Mitglied des Abgeordnetenhauses, legt seine Schlussfolgerungen offen. Er sagt, es werde nicht genügen, Wahlen zu gewinnen, "wenn Justiz und Verwaltung, von der Vorgänger-Regierung implementiert, die neue Regierung torpedieren". Sein Kollege Weiß, ebenfalls dort Abgeordneter: In der Justiz werde "die AfD später aufräumen müssen".
Alles unmaßgebliche Stimmen aus hinteren Reihen? Die AfD-Spitzenpolitiker Gauland und Weidel sprechen von "vermeintlichen" Hetzjagden; ein Bundestagsabgeordneter sagt über die Äußerung seines Kollegen Frohnmaier, "nicht besonders glücklich" zu sein. Wer das für eine Distanzierung hält, der glaubt auch, dass Brandbeschleuniger zur Grundausrüstung der Feuerwehr gehören.
Die AfD ist durchsetzt von rechtsradikalen Feinden der Demokratie. Es ist überfällig, dass sich der Verfassungsschutz dieser Partei annimmt und sie unter Beobachtung stellt. Die wehrhafte Demokratie braucht die professionelle Sammlung von Material über diese Partei - und sie muss das Signal setzen, dass sie die Repräsentanten dieser Partei verstanden hat. Niemand möge sich einreden, die AfD sei schon nicht so schlimm, sie meine es nicht wörtlich. Das wäre naiv, bequem und letztlich auch feige. Der eine in dieser Partei sieht im Holocaust-Denkmal ein "Denkmal der Schande", der nächste will eine türkei-stämmige SPD-Politikerin "entsorgen", und jetzt reden mehrere der Selbstjustiz das Wort.
Dem Herrn Biedermann sagt der Brandstifter Eisenring, was für seinesgleichen die beste Tarnung sei: "Die beste ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand."