Meine Presseschau:Wie hältst du es mit Venezuela?

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Für die lateinamerikanische Linke ist das zusammenbrechende Land eine Art Testfall. Wer immer noch den Diktator Nicolás Maduro unterstützt, ist im Demokratietest gescheitert.

Ausgewählt von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Politische Debatten in Lateinamerika zeichnen sich traditionell durch ihre unausgewogene Lautstärke aus. Ganz rechts und ganz links dröhnt es gewaltig, aus der Mitte kommt so gut wie gar nichts. Auf der einen Seite hält sich der vereinigte Linkspopulismus für unfehlbar, auf der anderen die Allianz der Antikommunisten. Was gut ist und was böse, das scheint in dieser Region sicherer zu sein als anderswo. Auf dies Muster konnte man sich auch bei der Zeitungslektüre verlassen - bis der derzeitige Staatschef Venezuelas die Ordnung der Ideologien über den Haufen warf: Nicolás Maduro ist ein Raubtierkapitalist, der sich Sozialist nennt.

Der Historiker und Verleger Enrique Krauze schrieb in der großen mexikanischen Zeitung Reforma: "Eine Partei kann rechts oder links sein, aber ob sie demokratisch ist, zeigt sich an ihrer Haltung gegenüber Venezuela." Damit formulierte er seine eigene Version der Gretchenfrage: Nun sag, wie hast du's mit Maduro?

Die lateinamerikanische Linke steckt ohnehin in einer Sinnkrise, und es hat ihr gerade noch gefehlt, dass sie sich nun entlang dieser Frage entzweit. Wohl auch deshalb haben führende Köpfe den Umbau Venezuelas zur Militärdiktatur, so lange es ging, mit Schweigen verfolgt. Dazu gehört auch Andrés Manuel López Obrador, der 2018 im dritten Anlauf endlich die mexikanischen Präsidentschaftswahlen gewinnen will. Die Demoskopen räumen ihm gute Chancen ein. Aber der Vorwurf, Maduro zu verharmlosen, macht ihm zunehmend zu schaffen. Reforma bezieht sich auf López Obrador, wenn sie urteilt: "Kein Zweifel, ein großer Teil der mexikanischen Linken besteht den Demokratie-Test nicht."

Ein paar Tausend Kilometer weiter südlich muss sich noch ein Schwergewicht der Linken mit dem Thema herumschlagen. Auch der Brasilianer Luiz Inácio Lula da Silva will im kommenden Jahr wieder Präsident werden. Als erstinstanzlich verurteilter Straftäter hat er es dabei schon schwer genug. Noch schwerer wird es aber dadurch, dass Gleisi Hoffmann, die derzeitige Vorsitzende von Lulas Arbeiterpartei PT, regelmäßig solidarische Grüße nach Caracas schickt. Lula versucht deshalb, Maduro so deutlich wie nötig zu kritisieren, um gerade noch den Demokratie-Test zu bestehen, aber auch vorsichtig genug, um den Bruch mit jenem Parteiflügel zu vermeiden, der den venezolanischen Autokraten immer noch für links hält.

Die gewiss nicht als linksalternativ verschriene Zeitung El Mercurio aus Chile bringt das Dilemma von Lula und López Obrador vielleicht am besten auf den Punkt. Dort kommt Camilio Escalona, der ehemalige Vorsitzende der Sozialistischen Partei Chiles, zu Wort. Er glaubt, "dass die lateinamerikanische Linke einen schweren Schlag von den Ereignissen in Venezuela davontragen könnte, weil Maduro unser Bekenntnis zur Demokratie untergräbt." Mit Maduro kehre die alte Idee zurück, dass man mit harter Hand gegen Oppositionelle vorgehen müsse, um soziale Gerechtigkeit herzustellen. "Diese Idee bedeutete 30 Jahre rechte Diktaturen in Lateinamerika", schreibt Escalona.

Aus dem kleinen Uruguay, immer für eine Überraschung gut, beklagt derweil die Zeitung La República das Schweigen der Linken gegenüber Maduro. Allerdings mangelt es aus ihrer Sicht nicht an Kritik, sondern an Solidarität. "Für Venezuela zu sein, ist nicht nur eine Frage der Politik, sondern des Charakters", heißt es da. Sicherlich könne man "mit einigen Aspekten" Maduros nicht einverstanden sein, aber das rechtfertige keine Blockadehaltung gegen einer Regierung, die "von der rechten Opposition und den USA belagert wird", so La República. Bei der mexikanischen Reforma würden sie dem Kommentar aus Uruguay wahrscheinlich attestieren: Demokratie-Test nicht bestanden.

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