Meine Presseschau:"Triumph für die Demokratie"

Strittmatter, Kai Marcus

Kai Strittmatter ist SZ-Korrespondent in Peking.

Nach dem Wahlgang in Hongkong reagiert die örtliche Presse gespalten.

Von Kai Strittmatter

Als Deutscher kann man manchmal vergessen, welch Charisma und subversive Kraft die Demokratie haben kann. Selbst wenn es kaum eine halbe Demokratie ist, wie in Hongkong. Hongkong und Taiwan, das sind die beiden Flecken, die zwischen Chinas KP und ihrer Behauptung stehen, Chinesen seien für Demokratie nicht geschaffen. Weil Hongkong aber eine Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China ist, sind jegliche Regungen demokratischer Leidenschaft dort für Peking doppelt heikel. Umso mehr, wenn es zu einem "Triumph für die Demokratie" kommt, wie das Hongkong Economic Journal nach der Wahl am Sonntag titelte.

Ein Triumph für die Jugend war es zudem. Der überraschende Einzug einer neuen Reihe junger Demokraten und Pekingkritiker ins Parlament, von denen sich manche nicht einmal scheuen, ein unabhängiges Hongkong zu verlangen, muss ein Schock sein für Chinas Führer. Die chinafreundliche Hongkonger Takungpao erinnerte schnell daran, dass das "Lager des Establishments noch immer die Mehrheit stellt", ohne zu erwähnen, dass das jenen undemokratischen Wahlregeln zu verdanken ist, die nur die Hälfte der 70 Sitze zur freien und direkten Wahl freigeben. Das Blatt kommentiert gönnerhaft, man könne den Neulingen ja eine Chance geben, um sodann eine Warnung hinterherzuschieben: Wenn die neuen Demokraten wirklich glaubten, sie könnten Peking "weiter provozieren", dann sei das so, "als wollten Ameisen einen starken Baum erschüttern oder als wolle eine Gottesanbeterin einen Wagen anhalten". Wenn ihr stur bleibt, soll das wohl heißen, dann werdet ihr überrollt.

Andere Blätter, wie das Hongkong Economic Journal schrieben dagegen von einem "Warnschuss für Peking" und argumentierten, die KP in China sei selbst schuld an der wachsenden Feindseligkeit: Mit seinen "Einschüchterungsversuchen" habe Peking "sich selbst ein Bein gestellt". "Viele Bürger fühlen, dass ihr Lebensstil und ihre Werte bedroht sind und griffen zu der einzigen Waffe, die ihnen noch geblieben ist." Viele Stimmen feierten die jungen neuen Parlamentarier als die Erben der Regenschirmrebellion von 2014, gleichzeitig warnten auch pekingkritische Medien davor, dass Hongkong nun noch mehr Konflikte, vielleicht sogar Gewalt, drohen könnten. "Noch nie war die Stadt so bitter gespalten", schreibt die Hongkong Free Press.

In China selbst lief die Zensur auf Hochtouren. Bis zum Wahltag selbst war in sämtlichen chinesischen Zeitungen nur ein einziger Artikel zur Wahl erschienen, in der Global Times. In den sozialen Medien wurde jede Debatte über Hongkong gelöscht. In den Tagen seither beschränkten sich die Staatsmedien auf die Wiedergabe der offiziellen Erklärung Pekings. Die Nachrichtenagentur Xinhua nannte die Idee eines unabhängigen Hongkong eine "Bedrohung der Souveränität und Sicherheit Chinas" und erklärte, Peking werde die Hongkonger Regierung "voll unterstützen", wenn diese zur "rechtmäßigen Bestrafung" von Separatisten schreite.

Interessant waren die Kommentare auf der Insel Taiwan, wo man genau auf Hongkong schaut - die Hongkong zugedachte Formel "Ein Land, zwei Systeme" war von Peking ja ursprünglich als Modell für eine eventuelle Wiedervereinigung mit Taiwan gedacht gewesen. Das Modell gilt in Taiwan angesichts der zunehmenden Einmischung Chinas als gescheitert. Die Taipei Times rief die Demokraten der Insel auf, sich mit Hongkongs jungen Aktivisten zusammenzutun. "Wenn es gegen einen Goliath geht", schreibt die Zeitung, "dann haben viele Davids zusammen eine bessere Chance."

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