Süddeutsche Zeitung

Meine Presseschau:Selbst "gelernte Österreicher" sind ratlos

Die einstige Freundschaft zwischen Kronen-Zeitung und FPÖ ist diese Woche umgeschlagen in offene Gegnerschaft.

Von Peter Münch

Gern genutzt wird von den Kommentatoren in diesen Tagen die Floskel, dass man "selbst als gelernter Österreicher" nicht für möglich gehalten hätte, was da gerade mit dem Land passiert. Jenseits der ganz normalen Abgründe und Intrigen also werden die aktuellen Geschehnisse - erst die Veröffentlichung des Ibiza-Videos, dann eine Regierungskrise, die sich zur Staatskrise ausweiten könnte - als irgendwie epochales Ereignis empfunden. "Wo warst du, als Strache zurückgetreten ist?", fragen Österreichs Zeitungen und TV-Sender ihre Leser und Zuschauer.

Der Wandel - vielleicht nicht der Epoche, aber des Winds - war am schnellsten natürlich bei der Kronen Zeitung spürbar, die sich persönlich provoziert fühlte von den Übernahmefantasien der FPÖ-Granden. Die bisher auch mittels Inseraten gepflegte Freundschaft ist umgeschlagen in offene Gegnerschaft. "Dummdreist" und "machtgeil" sind die Attribute, mit denen die einstigen Lichtgestalten zu "Rotzlöffeln" erklärt werden. Die Schlagzeile: "FPÖ am Ende!"

Wenn die Krone Stimmung macht, wird das die FPÖ Stimmen kosten. Zwar gilt auch hier der Satz, dass Totgesagte länger leben. Aber selbst die konservative Presse geht davon aus, dass "die FPÖ für Jahre - wenn nicht länger - als Regierungspartei ausscheidet". Angesichts des vergifteten Klimas zwischen allen Parteien folgert Chefredakteur Rainer Nowak daraus, dass das Land "ein Stück unregierbarer" werde. "Vielleicht müssen wir uns in Österreich einfach auf weiterhin fragile und volatile Verhältnisse einstellen - mit schnell wechselnden Koalitionspartnern, Mehrheiten sowie Experimenten wie Experten- und Minderheitsregierungen", schreibt er.

Der linksliberale Standard sorgt sich um den Vertrauensverlust, der zu mehr Politikverdrossenheit führen könnte. Die Verantwortung dafür sieht Michael Völker nicht nur bei der FPÖ, sondern auch beim Kanzler: "Angesichts der totalen Verlotterung, die das Video von Ibiza offenbart, haben die Menschen das Gefühl, die Republik stünde am Abgrund. Kurz nutzt diesen Moment zu billigen Wahlkampfparolen." Immerhin ein Hoffnungszeichen aber sieht der Standard: In anderen Ländern könnte Österreichs Desaster "als Weckruf" dienen: "Mit Rechtspopulisten ist kein Staat zu machen."

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Quelle:
SZ vom 25.05.2019
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