Die erste Woche ist vergangen, in der Israel ohne Schimon Peres leben musste. Das Begräbnis des 93-jährigen Übervaters hatte das Land noch mit einigem Stolz erfüllt, schließlich waren von US-Präsident Barack Obama abwärts viele Größen dieser Welt erschienen. Danach aber drängten sich die bangen Fragen in den Vordergrund, wie es denn nun weitergehen könne ohne IHN. Die erste Zwischenbilanz: Noch immer geht die Sonne im Osten auf, die Start-up-Nation brummt und der Frieden bleibt so fern wie eh und je. Verändert hat sich, wahrscheinlich vorübergehend, allein der Grad der israelischen Selbstreflexion. Eine ganze Nation fragt sich, woher sie kommt und wohin sie strebt.
Diese Stimmung genau getroffen hat der altgediente Kolumnist Ben Caspit in der Zeitung Maariv. "Wenn er gegangen ist, wer passt dann auf uns auf? Wer erinnert uns, durch seine bloße Existenz, daran, was wir einst waren und was wir hätten sein können?", fragt er die Leser. "Es wird auch ohne ihn weitergehen, aber es wird nicht mehr dasselbe sein. Seine Fans genauso wie seine Gegner müssen zugeben, dass er vom ersten Moment an etwas Außergewöhnliches hatte."
Tiefer noch blickt im selben Blatt der Verteidigungsexperte Alon Ben-David. Er konstatiert: "Wir sind nicht so verwaist wie damals, als Jitzchak Rabin ermordet wurde oder als Ariel Scharon ins Koma fiel. Peres mag auch Premierminister gewesen sein, aber die israelische Gesellschaft hat in ihm nie einen politischen Führer gesehen. Er war unser Alter Ego, eine Figur, mit der wir uns nach außen schmücken konnten. Nun aber haben wir unsere Fassade verloren und damit die Möglichkeit, uns hinter seiner großen und symbolhaften Persönlichkeit zu verstecken. Wir stehen nun nackt da."
Die auflagenstarke Zeitung Jedioth Achronoth ließ die beiden bekanntesten Schriftsteller Israels zu Wort kommen. Amos Oz, der auch bei der Trauerfeier sprechen durfte, würdigt dabei seinen Freund Peres als "mediokren Politiker, aber großen Staatsmann. Gewiss, er war ein Mann der Träume, die zugleich naiv und weltklug waren. Aber seine Träume wurden weit häufiger wahr als die Zweifel, die von vielen anderen gehegt werden."
David Grossman, der ebenfalls von gemeinsamen Reisen und privaten Abendes-sen mit Peres berichten kann, klopft die gängige Formel ab, dass mit dessen Tod nun "eine Ära enden" würde. "Die Ära von Peres und seiner Vision endete bereits Mitte der Neunzigerjahre, als Rabin ermordet wurde, oder sogar noch früher, als die Oslo-Verträge zusammenbrachen", befindet er und erinnert an all den Hass und die Beschimpfungen, die Peres danach vonseiten der Rechten erdulden musste. Bitter stößt Grossman auf, dass nun auch all jene Peres Elogen hinterherschicken, die zuvor "sein Leben elend gemacht" hätten.
In der linksliberalen Haaretz nennt Rogel Alpher dazu Ross und Reiter - nämlich Premierminister Benjamin Netanjahu, der zeitlebens ein Gegenpol zu Peres war und beim Begräbnis nichtsdestotrotz "in kannibalistischer Art den Arm um seine Schultern gelegt" habe. Die Haaretz-Kolumnistin Carolina Landsmann schließlich sieht im Verlust auch eine Chance: "Der Tod von Peres, dem letzten der Gründerväter, zwingt Israel dazu, erwachsen zu werden", schreibt sie. "Alle Väter sind tot. Es gibt keinen Vater Peres mehr, der sich Israels Moral auf die Schultern lädt, während die Kinder Amok laufen. Die volle moralische Verantwortung für Israels Image in der Welt ist nun auf die Nachfolger von Peres übergegangen. Das ist traurig, schwierig und beängstigend. Aber zugleich ist es auch eine wirkliche Gelegenheit, sich zu befreien."