Meine Presseschau:Gute Europäer, böse Europäer

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Wie schlecht das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei geworden ist, zeigt sich in der türkischen Presse. Angela Merkel wird schon mal mit Hitlerbärtchen gezeigt.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Wie schlecht es aus türkischer Sicht um das Verhältnis zur Europäischen Union, vor allem zu Deutschland bestellt ist, zeigt sich schon daran, wie die regierungsnahe Presse Angela Merkel in Szene setzt. Nach dem Fernsehduell, in dem Herausforderer Schulz die Kanzlerin mit der Ankündigung unter Zugzwang setzte, die Beitrittsgespräche mit der Türkei beenden zu wollen, druckte das Krawallblatt Akşam Merkel mit angedeutetem Hitlerbärtchen und der Schlagzeile "Hitlers Überreste" - Hakenkreuz inklusive. Als EU-Länder türkischen Politikern im Frühjahr verboten, bei sich Wahlkampf für Recep Tayyip Erdoğans Präsidialverfassung zu machen, hatte der Staatspräsident höchstselbst seine Partner mit Nazi-Vergleichen überzogen. Nun wählen bald die Deutschen ein neues Parlament - ein neuer Anlass, um wieder viel Schmutz zu verbreiten.

Zwar sagte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu kürzlich, Wahlkämpfe gingen vorüber, Freundschaften blieben. Aber Sami Kohen, Kolumnist der gemäßigten, regierungsfreundlichen Zeitung Milliyet, glaubt daran nicht mehr. Es vergehe kein Tag, an dem sich die Situation nicht verschlechtere. Nachdem Deutschland angekündigt hat, Waffenexporte weiter zu drosseln, habe der Konflikt sogar eine "militärische Dimension" bekommen. "Wir können nicht erwarten, dass sich die Spannungen zwischen Ankara und Berlin nach den Wahlen sofort legen." Es wäre zu optimistisch anzunehmen, dass sich die Haltung der Kanzlerin und anderer Politiker rasch ändere. Das gelte aber auch für die Gefühlslage der Leute. Auf beiden Seiten herrsche mittlerweile eine feindliche Stimmung.

Die Zeitung Akşam, die das Hakenkreuz druckte, glaubt, die EU habe ein Problem mit einer starken Türkei. Ihr Autor Hikmet Genç schreibt, sein Land habe den Putschversuch überstanden, kämpfe gegen den Terror und zeige Größe in der Flüchtlingskrise. Es fehle nur noch eine "Invasion aus dem All", so viel habe die Türkei hinter sich. Das Vertrauen in den Westen? "Wir haben auch Bedenken", schreibt er. Im Kampf gegen den Terror unterstützt der Westen kurdische Kämpfer in Syrien, die der terroristischen PKK nahestehen - dem größten Feind Ankaras. Andererseits mache der Westen der Türkei Vorhaltungen, weil das Land jetzt Waffensysteme bei den Russen kaufe. "Akzeptiert die starke und unabhängige Türkei, gewöhnt euch endlich an Erdoğan", empfiehlt er. Dagegen hat die jüngste Kritik von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker an der Türkei die Cumhuriyet-Kolumnistin Aslı Aydıntaşbaş nachdenklich gemacht. Juncker hatte die Freilassung von inhaftierten Journalisten gefordert, und beklagt, wie weit sich Ankara vom gemeinsamen Weg entfernt habe. Aslı Aydıntaşbaş schreibt: "Wie bitter, wo wir angekommen sind." Die regierungsnahe Presse bezeichne die Kritik als islamophob, die EU wollte die Türkei spalten, verhalte sich irrational. "Aber alle wissen, dass unsere Lage nicht normal ist."

Auch das Wirtschaftsblatt Dünya befasst sich mit dem Konflikt. "Die Türkei ist ein wichtiger Handelspartner Deutschlands", schreibt ihr Autor Ilter Turan. Er sieht Deutschland und die übrige EU in einem Bad-Cop-Good-Cop-Spiel - mit den Deutschen als den bösen Polizisten. "Deutschland hat in der EU mehr politischen Einfluss als andere Länder. Aber Deutschland hat nicht die Befugnis, im Namen der EU zu sprechen", kritisiert er. Seiner Türkei empfiehlt er eine Neubewertung von Kosten und Nutzen der Beziehungen zur EU. "Ich denke, sie würde zeigen, dass der Nutzen immer noch höher ist", schreibt er.

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