Meine Presseschau:Gezeitenwechsel in Warschau

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

In Polen wird es für die regierenden Nationalisten enger: Während regierungsnahe Zeitungen die Stammwähler bei der Stange halten wollen, wartet ein Oppositionsblatt mit Enthüllungen auf.

Von Florian Hassel

Nach dieser Woche ist in Polen nichts mehr so wie zuvor. Seit die Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) 2015 erst die Präsidenten- und dann die Parlamentswahl gewann, schien ihre Macht unangreifbar zu sein: gestützt auf die absolute Mehrheit im Parlament, einen Präsidenten, der selbst rechtswidrige Gesetze abnickte, und eine zersplitterte Opposition. Doch jetzt, nach Protesten im ganzen Land und dem Veto des Präsidenten gegen Gesetze zur Kontrolle über Polens Richter, sei alles anders, glaubt die Zeitung Rzeczpospolita.

In der bisher scheinbar monolithischen Pis "beginnen sich gegensätzliche Tendenzen zu emanzipieren", schreibt das Wirtschaftsblatt. Auf der einen Seite stehe ein radikaler Flügel, misstrauisch gegen Europa und Deutschland und immun gegen Kritik. Auf der anderen Seite bilde sich ein republikanischer Flügel, der "daran glaubt, dass Politik die Sorge um das Gemeinwohl ist - und nicht der totale Bürgerkrieg." Präsident Duda habe sich mit seinem Veto "auf die Seite der gemäßigten Rechten gestellt". Die Folge: ein - möglicherweise dauerhafter - Bruch zwischen Regierung und Präsident und ein Aufbrechen der Pis. Die Opposition habe "mehr Geschlossenheit und viel mehr taktisches Geschick" als zuvor gezeigt - etwa mit einem gemeinsamen Krisenstab verschiedener Parteien. "Mehr noch: Auch nach dem Veto des Präsidenten hat die Opposition den Willen zu weiterer Zusammenarbeit gezeigt". Etwa um gemeinsame Gesetzentwürfe vorzulegen. Fazit der Rzeczpospolita: "Seit mindestens zwei Jahren gab es auf Polens politischer Szene keine so starken tektonischen Bewegungen."

Das liberale Magazin Polityka betont, die Opposition habe endlich auch die Jugend angezogen. Die war bisher bei Protesten schwach vertreten und stimmte 2015 oft für Pis. Jetzt wollten viele junge Polen zwar eine Protestbewegung, aber keine Führer - also "Politik ohne Politiker... Doch ohne Parteien, die eine Struktur und Personal haben, und vor allem Geld, ist es schwer, an ernsthafte Rivalität mit einem so starken Gegner wie der PiS zu denken."

Die Pis nutzt ihre Dominanz in den Medien, um zumindest ihre Stammwähler bei der Stange zu halten und sie davon zu überzeugen, dass die Proteste nichts mit verfassungswidrigen Gesetzen zu tun gehabt hätten. Das parteinahe Magazin WSieci pflegt den von Jarosław Kaczyński, dem starken Mann der Pis, ersonnenen Mythos, die Opposition sei von kommunistischen Ex-Geheimdienstlern, Richtern, die ihre Privilegien verteidigen, und anderen dunklen Gestalten dominiert: der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament, der Venedig-Kommission und dem Europarat und internationalen Stiftungen. Der Protest gegen die Regierung sei "ein Putsch - begründet, legitimiert und unterstützt aus dem Ausland, mit einer exponierten, ja Schlüsselteilnahme des Vorsitzenden des Europäischen Rates, Donald Tusk". Beleg: keiner. Doch kaum etwas fürchtet die Pis so wie eine Rückkehr des langjährigen polnischen Regierungschefs in die heimische Politik.

Schon werden Oppositionelle offenbar wieder illegal überwacht. Die Gazeta Wyborcza veröffentlichte Mitschnitte der Gespräche von Polizisten, die den Führer der liberalen Partei Modern, Ryszard Petru, auf Schritt und Tritt überwachen. Die liberale Zeitung erinnerte daran, dass polnische Richter seit einer Änderung der Strafprozessordnung auch Beweise berücksichtigen müssen, die Polizei oder Geheimdienst illegal gesammelt haben - und befürchtet, Polen verwandele sich "in einen Polizeistaat, in dem die richterliche Kontrolle von Polizeiaktionen gegenüber Bürgern nur noch auf dem Papier steht".

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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