Meine Presseschau:Geteilte Meinungen

Finke, Björn Klaus
(Foto: Bernd Schifferdecker)

Der Ansturm der Flüchtlinge spaltet die britische Presse.

ausgewählt Von Björn Finke

"Wenn ich tot bin und mein Körper geöffnet wird, werdet ihr ,Calais' geschrieben auf meinem Herzen finden." Das soll die englische Königin Maria I. gesagt haben, nachdem Frankreich 1558 die Stadt erobert hatte - und damit den letzten Zipfel von Marias Königreich auf dem europäischen Festland. In diesen Wochen sind es die britischen Zeitungen, die viel und prominent über Calais schreiben: über das Chaos dort, über die Flüchtlinge, die jede Nacht versuchen, durch den Eurotunnel auf die Insel zu gelangen. Und über die Reaktion der Regierung in London.

Dabei unterstützen konservative Blätter eine harte Linie gegen Einwanderer, während linksliberale Zeitungen eher vor Hysterie warnen und dazu raten, in Afrika und im Nahen Osten die Ursachen für Flüchtlingsströme zu bekämpfen.

In der Times, der konservativen Tageszeitung aus dem Reich Rupert Murdochs, forderte etwa am Donnerstag ein Gastkolumnist, die Armee einzusetzen, um die Grenze am Ärmelkanal besser kontrollieren zu können. Außerdem sollte Großbritannien Personalausweise einführen, damit es der Polizei einfacher fällt, illegale Einwanderer aufzuspüren, heißt es weiter. Flüchtlinge aus aller Welt sähen das Vereinigte Königreich bislang als einfaches Ziel an; sie glaubten, das Risiko einer Abschiebung sei klein. Diese Wahrnehmung gelte es dringend zu ändern.

Das konservative Boulevardblatt Daily Mail schlägt den ganz großen historischen Bogen: Vorgängern von David Cameron sei es gelungen, Napoleon und Hitler mit ihren Armeen von der Insel fernzuhalten. Gleiches sollte dem konservativen Premier doch auch mit einigen Tausend erschöpften Flüchtlingen in Calais möglich sein, schreibt die Zeitung.

Der Rivale Daily Express ist bei den Themen Einwanderung und EU oft am schrillsten. Vor der Parlamentswahl im Mai war der Express die einzige Zeitung, die ihren Lesern empfahl, der EU-feindlichen Partei Ukip die Stimme zu geben. Jetzt nimmt das Blatt Außenminister Philip Hammond in Schutz. Der hat die Flüchtlinge in Calais als "Marodeure" bezeichnet und gewarnt, dass "Millionen von Einwanderern aus Afrika" den Lebensstandard der Europäer bedrohten. Die Opposition kritisiert, der Konservative schüre Vorurteile und Ausländerfeindlichkeit.

Der Daily Express hingegen kommentiert, es sei schlicht richtig, dass unkontrollierte Masseneinwanderung den Wohlstand gefährde. Großbritannien leide ohnehin unter Wohnungsnot und überfüllten Krankenhäusern. Es sei besser, wenn die Flüchtlinge in Lagern nahe ihrer Heimatländer blieben, damit sie nach Kriegsende rasch heimkehren könnten.

Die linksliberalen Tageszeitungen The Guardian und The Independent klagen derweil, dass in der hitzigen Debatte wichtige Fakten untergingen. So nehme Großbritannien im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wenig Asylsuchende auf, heißt es da. Und die wahre Flüchtlingskrise spiele sich ohnehin nicht in der EU oder gar in Calais ab, sondern in Staaten wie der Türkei. Das Land bietet 1,7 Millionen Syrern Schutz.

Der Guardian kommentiert weiter, es seien oft die Europäer selbst, die Menschen zur Flucht zwängen. Die Regierungen hätten Kriege in Afrika und dem Nahen Osten angezettelt oder unterstützt - sie seien die Marodeure, nicht die Asylsuchenden aus den zerstörten Ländern. Auch die Financial Times fordert, Europa solle sich der Ursachen der Flüchtlingsströme annehmen. Wegen der Euro-Krise beschäftige sich die EU zu viel mit sich selbst statt zu versuchen, in benachbarten Regionen wie Nordafrika Stabilität zu schaffen, schreibt das Wirtschaftsblatt.

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