Meine Presseschau:Erwartbares Meinungspanorama

Meine Presseschau: Sebastian Schoepp ist Redakteur im Ressort Außenpolitik.

Sebastian Schoepp ist Redakteur im Ressort Außenpolitik.

Wer Einordnungen zur Lage in Venezuela lesen will, setzt auf ausländische Beobachter.

Ausgewählt von Sebastian Schoepp

Wie in vielen Schwellenländern wurden in Venezuela die Medien lange Zeit von konservativen Verlegern und alteingesessenen Familien dominiert. Als Hugo Chávez 1998 seinen ersten Wahlsieg errang und den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" propagierte, hatte er kein ernst zu nehmendes Presseerzeugnis auf seiner Seite. Da Zeitungen in Lateinamerika schon damals kaum noch gelesen wurden, setzte Chávez gleich ganz aufs Fernsehen, um Regierungsmeinungen zu verbreiten. Er gründete den Sender Telesur, der nichts Geringeres als ein südamerikanisches Gegengewicht zu CNN werden sollte, die Stimme der Unterdrückten sozusagen.

Heute verwaltet in Venezuela Nicolás Maduro die Trümmer des chavistischen Systems, und Telesur ist ausschließlich das Sprachrohr der Mächtigen. "Die Rechte beschleunigt das Tempo hin zu einem Staatsstreich" titelte der Sender, nachdem am Mittwoch ein mysteriöser Helikopter eine Attacke auf den regierungstreuen Obersten Gerichtshof geflogen hatte. Diese Rechte, finanziert von den USA, "zerstört, tötet, schlägt zu, aber sie wird ihr Ziel nicht erreichen", heißt es in einem Meinungsbeitrag des Staatsfunks, der auch von Präsident Maduro selbst stammen könnte. Es werde mehr Tote geben, wird auf der Webseite orakelt, die Opposition werde nicht "lockerlassen, bis sie ihre historische Revanche" erreicht habe, also den Sturz des Regimes. Auch der Versorgungskrise, unter der die Venezolaner leiden, liegt laut Telesur eine von den USA orchestrierte Verschwörung zugrunde.

Wer für den Helikopter-Angriff die Verantwortung trägt, ist aber mitnichten klar, der Pilot wird gesucht. Der Regierung lieferte der Vorfall einen Vorwand, am Freitag erneut heftig gegen Proteste vorzugehen. Mit einer ausgewogenen Debatte braucht man nicht zu rechnen, denn in Venezuela gilt: man ist für oder gegen das Regime. Dazwischen gibt es nichts.

Die Gegner, das sind die Reste der alteingesessenen Presse, wie das Blatt El Nacional. Traditionell sind regierungskritische Zeitungen in Lateinamerika meinungsarm, ein Erbe der Diktaturen. Die Verleger bedienen sich Gastautoren und Bloggern, um oft recht kantige Ansichten zu transportieren. So schreibt der Kolumnist Antonio Sánchez García, das große Venezuela sei "von einer "armseligen Insel" kolonisiert, gemeint ist das sozialistische Kuba. Ein ganzes Land rebelliere gegen eine Handvoll Schufte, "an der Macht gehalten von einer Soldateska, die alle Verfassungsrechte verletzt". Die Millionen, die gegen das Regime protestierten, hätten nichts weiter in der Hand als "Schutzschilde aus Pappe". Immerhin trauten sich die Sicherheitskräfte nicht, mehr als einen Demonstranten am Tag zu erschießen.

Angesichts des erwartbaren Meinungspanoramas in den Medien halten sich die meisten Venezolaner längst an soziale Netzwerke wie Twitter. Aber auch dort werden eher Videos von Gewaltexzessen der jeweiligen Gegenseite veröffentlicht als Lösungsansätze. Wer Einordnungen lesen will, muss auf ausländische Beobachter zugreifen, etwa die Madrider Zeitung El País, nach eigenem Verständnis inzwischen das globale Referenzblatt spanischer Sprache. Darin schreibt der frühere mexikanische Außenminister Jorge Castañeda, eine Art Joschka Fischer der iberoamerikanischen Welt, die venezolanische Krise könne nur durch internationale Vermittlung gelöst werden: "Der Schlüssel liegt in Washington und Havanna." Ein konstruktiver Vorschlag, der aber letztlich wieder nur als Wasser auf den Mühlen der Verschwörungstheoretiker beider Seiten enden dürfte. Für die tragen allein dunkle ausländische Mächte an der venezolanischen Dauer-Misere Schuld.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: