Süddeutsche Zeitung

Meine Presseschau:Ersehnte Quote

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Das Gefühl, allein zu sein: Italiens Nöte mit den Widersprüchen in Europas Flüchtlingspolitik.

Ausgewählt von Oliver Meiler

"Finalmente", endlich. Kein Adjektiv verdichtet gegenwärtig die Gefühle Italiens besser als dieses. Die Entscheidung der Europäischen Union, dem außergewöhnlichen Flüchtlingsnotstand im Mittelmeer mit einer ebenso außergewöhnlichen Politik zu begegnen, kommt zwar spät. Aber sie kommt. Italien fühlte sich lange alleine gelassen, geografisch exponiert wie es ist, an der Schnittstelle zwischen Afrika und Europa. Es rettete schon Zehntausende aus Seenot, zerbricht aber schier an der behördlichen Verwaltung der Fälle.

Nun sollen also die Asylbewerber nach einem Quotensystem auf alle 28 Länder aufgeteilt werden. Der Corriere della Sera schreibt dazu, man habe den Partnern im Norden die Solidarität nachgerade "abnötigen" müssen. Das benutzte Verb ist stark: strappare - es meint auch "entreißen", " erzwingen". Die bürgerliche Tageszeitung aus Mailand ist also der Meinung, Europa besinne sich nur deshalb auf seine humanitären Werte im Umgang mit den Verzweifelten etwa aus Syrien und Eritrea, weil eben die Italiener über die vergangenen zwei Jahre mit Macht und moralischem Nachdruck daran erinnert hätten. Eine "Kehrtwende" sei das, wenn auch nur eine kleine, denn die beschränkte Dauer und die bescheidenen Zahlen des Programms ließen einen dann doch "perplex" zurück. "Immerhin", schreibt der Corriere, "das Prinzip der Aufteilung ist zwingend - oder wie es der Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans, sagte: 'Wir rufen den Italienern zu: Ihr seid nicht mehr allein, ihr habt ein Recht auf Hilfe von den anderen europäischen Ländern'."

Die linksliberale Zeitung La Repubblica aus Rom hatte nur Tage vor dem Beschluss ihre Skepsis geäußert über den politischen Willen in Europa, sie gab sich nun dem Fatalismus hin. Der Widerstand gegen den Plan von Jean-Claude Juncker aus einigen Ländern der Union sei so groß, konnte man da lesen, dass sich die Katastrophe zum "geopolitischen Kollaps" wandle. Gad Lerner, ein renommierter Leitartikler, schrieb von der "Klippe des Zynismus", an der Europa zu zerschellen drohe: "Man scheint vergessen zu haben", so Lerner, "dass das Asylrecht ein Grundrecht ist, festgeschrieben in der Genfer Konvention. Es ist also kein Zückerchen, über dessen Vergabe die Regierungen einfach mal so entscheiden können."

Ganz anders tönt es aus der rechten Ecke, zum Beispiel aus den Spalten von Il Giornale, einer Zeitung aus dem Medienimperium von Silvio Berlusconi. Am Tag nach der Präsentation der neuen europäischen Flüchtlingspolitik titelte das stets schreierische Blatt groß auf der ersten Seite: "Tore auf für Migranten - Italien geht vor Brüssel in die Knie." Für Il Giornale hat die britische Regierung recht, die ja vorschlägt, die Flüchtlingsboote zurückzudrängen - zurück nach Libyen. Die Quotenregelung sei alles andere als vorteilhaft für Italien. Gemäß Verteilschlüssel soll es künftig 11,84 Prozent der Kriegs- und Konfliktflüchtlinge aufnehmen: "Jetzt hängt man uns als letztes Geschenk zusätzlich 2000 Asylbewerber an."

Die kommunistische Zeitung Il Manifesto hat andere Sorgen. "Act of war" stand diese Woche über einem Kommentar, kurioserweise auf Englisch, "Kriegshandlung" also. Behandelt wurden darin die Gefahren einer militärischen Operation gegen die libyschen Schlepperbanden. "Sechs Millionen Menschen fliehen vor Krieg und Misere", schreibt Il Manifesto, "und was macht Europa? Es plant in erster Linie einen Krieg gegen die Schleuser. Natürlich entspringen diese Banden dem organisierten Verbrechen. Leider sind sie aber die Einzigen, die den Flüchtlingen helfen auf deren verzweifelter Reise." Helfen ist vielleicht nicht gerade das passende Verb.

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Quelle:
SZ vom 16.05.2015
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