Meine Presseschau:Die Wahl zwischen zwei Übeln

Illu

Am Donnerstag entscheiden die Briten, wer im neuen Unterhaus sitzen soll. Die Zeitungen geben - ohne Begeisterung Wahlempfehlungen ab.

Von Christian Zaschke, London

Die meisten britischen Zeitungen nehmen mit Freude Einfluss auf den Wahlkampf. Nach dem überraschenden Wahlsieg des Konservativen John Major 1992 reklamierte das Boulevardblatt The Sun dessen Erfolg sogar für sich. "It's The Sun wot won it", titelte das Blatt im ortsüblichen Slang: Die Sun hat's gewonnen. Zuvor hatte die Zeitung die leicht favorisierte Labour-Partei wochenlang schwer attackiert. Auch in diesem Jahr hat sich die Sun eindeutig positioniert und empfohlen, bei der Parlamentswahl am Donnerstag für die Konservativen von Premierministerin Theresa May zu stimmen. "Es ist eine einfache Wahl für Sun-Leser", schreibt das Blatt: "Zwischen einer extremistischen Labour-Partei, die sich danach sehnt, ihren unreifen Marxismus auszuprobieren, und einer Tory-Partei, die ernst, erwachsen und ehrlich ist."

Für Labour ist es ein Problem, dass die Mehrheit der britischen Presse die konservativen Tories so offen unterstützt. Der Daily Express zum Beispiel hat zwar bisher keine Empfehlung ausgesprochen, aber wenn Theresa May wie an diesem Donnerstag sagt, ihr Rivale, Labour-Chef Jeremy Corbyn, glaube nicht an Großbritannien, lautet die Schlagzeile des Express am Freitag: "Jeremy Corbyn glaubt nicht an Großbritannien". So als wäre das ein Faktum. Ebenfalls an diesem Freitag informierte die Daily Mail ihre Leser auf dem Titel über "Corbyns verschlagene Todesfalle". So drückte das Blatt aus, dass Labour dagegen ist, dass Reiche weniger Erbschaftsteuer zahlen. Freundlich ist der Partei hingegen der Guardian gesinnt, und der Daily Mirror steht seit jeher fest in Treue zu ihr. Er schreibt: "Labour-Wähler müssen zusammenstehen, so wie Fußballfans hinter ihrer Elf stehen."

Dass Zeitungen Wahlempfehlungen abgeben, hat im angelsächsischen Raum Tradition. Auch seriöse Blätter legen sich fest, in diesem Jahr allerdings schweren Herzens. "Es ist ein Armutszeugnis für den Zustand Großbritanniens, dass keiner der wichtigsten Kandidaten sonderlich beeindruckend ist", schreibt die Financial Times. Theresa May habe sich als "stark und stabil" präsentieren wollen, wirke aber "auf erstaunliche Weise schwach". Ihre Pläne, die Einwanderung zu drücken, würden das Wachstum bremsen und ließen sich am besten so zusammenfassen: "Offen fürs Geschäft, geschlossen für Ausländer". Dennoch empfiehlt die FT, für die Tories zu stimmen. "Die Alternative zu Mrs. May ist schlimmer. Mr. Corbyn ist eine Randfigur und hat sein gesamtes politisches Leben in der Opposition verbracht - zur Führung seiner eigenen Partei." Das Urteil: "Labour ist untauglich zum Regieren. Mrs. May ist die sicherere Wahl."

Zu einem anderen Schluss kommt der Economist. "Es ist eine trostlose Auswahl für diese Zeitung, die kaum Spuren unserer klassischen, liberalen Werte des freien Marktes in den beiden großen Parteien findet", schreibt das Blatt. Der Premierministerin unterstellt der Economist "illiberale Instinkte" und schreibt: "Eine Kampagne, die ihre Autorität zementieren sollte, fühlt sich an wie eine, in der sie enttarnt worden ist." Und Corbyn? "Mr. Corbyn ist der gefährlichste Kandidat von allen." Also empfiehlt das Blatt, für die Liberaldemokraten zu stimmen. "Wir wissen, dass die Liberaldemokraten in diesem Jahr nichts reißen werden. Aber in Anbetracht der rückwärtsgewandten Labour-Partei und der isolationistischen Tory-Partei, die dabei ist, ihren historischen Fehler bezüglich des Brexit noch zu verschlimmern, bekommen sie unsere Stimme." Mittelfristig hofft der Economist, dass moderate Kräfte von Tories und Labour zusammengehen und mit den Liberaldemokraten eine starke Partei der Mitte aufbauen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: