Meine Presseschau:Deutsche Populisten,  Schweizer Populisten

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Seit der Bundestagswahl befassen sich schweizerische Medien ungewöhnlich intensiv mit deutscher Politik. Manche fühlen sich angesichts der AfD an den Aufstieg der SVP im eigenen Land erinnert.

Von Charlotte Theile, Zürich

Wahlen in Deutschland? Aus Schweizer Sicht in der Regel ziemlich unspektakulär. Die Kanzlerin heißt Angela Merkel, die Namen der Minister kennt man nicht und die Sache mit dem Schulz-Hype hat man auch nicht so recht mitbekommen. Seit dem 24. September jedoch beschäftigen sich die Journalisten des Landes intensiv mit der Politik im "Großen Kanton". In der Weltwoche, einem der Blätter, das die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) quasi als Partei-Zeitung nutzen kann, freut sich der auch in Deutschland bekannte SVP-Politiker Roger Köppel über den "Dammbruch der Demokratie" im Nachbarland. Er meint: den Erfolg der AfD. Das "Machtkartell unter Kanzlerin Merkel wurde geknackt", schreibt Köppel. Der vielleicht größte Bewunderer Donald Trumps auf dem europäischen Festland streut da und dort ein paar kritische Bemerkungen zum personellen Chaos in der AfD ein, ist aber sonst begeistert. Die Partei sei "bürgerlicher als die linke Merkel-CDU". Ihre Unterstützer? "Solide Mittelständler, Angestellte, Unternehmer, Garagisten, Hausfrauen, gute, hart arbeitende, gewöhnliche Deutsche, die vorher CDU, SPD oder FDP gewählt haben."

Bei der konservativ-liberalen Neuen Zürcher Zeitung, die in den vergangenen Jahren merklich nach rechts gerückt ist, gibt man sich zurückhaltender. In seinem Deutschland-Newsletter "Der andere Blick" begrüßt Chefredakteur Eric Gujer den Erfolg der FDP unter Christian Lindner. Sie sei die "richtige Alternative für Deutschland" findet Gujer, der als Korrespondent schon aus Berlin berichtete - und diktiert FDP und CDU gleich ein konkretes Programm: Soli streichen, Glasfasernetz ausbauen, weniger Kündigungsschutz, "ein nahezu perfekter Dreiklang" wäre das, findet Gujer. Darüber hinaus plädiert der NZZ-Chef für Gelassenheit: "Neun von zehn Deutschen" hätten schließlich nicht AfD gewählt. Der beste Umgang mit Protest-Parteien sei eine überzeugende inhaltliche Auseinandersetzung, die nicht auf jede Provokation eingehe - eine Position, die Gujer auch mit Blick auf die SVP vertritt.

Beim linksliberalen Tages-Anzeiger beobachtet man die deutschen Wahlergebnisse eher mit Sorge. Nicht wenige fühlen sich an die 1990er-Jahre erinnert, als die SVP von einer biederen Bauernpartei zur rechtskonservativen Macht aufstieg. "Die Deutschen in der Blocherfalle" schrieben Alan Cassidy und Philipp Loser nach der Wahl. Deutschland müsse eine Antwort auf die Frage finden, wie man mit den "neuen Kräften von rechts" umgeht. In der Schweiz, glaubt der Tages-Anzeiger, habe das Dauerfeuer der Rechten "eine Verschiebung des Grundtons" zur Folge gehabt. "Die Geschichten über Ausländer, Kriminelle und eine Kombination von beidem" seien massiv gestiegen - und heute Teil einer neuen Normalität. Was man den Deutschen raten soll? Hier kommt der Tages-Anzeiger zu einem ähnlichen Schluss wie die NZZ: Man dürfe Populisten nicht größer machen als sie sind. Dann wird ein Sozialdemokrat zitiert: "Und am größten macht man sie, indem man sie kopiert."

In der französischsprachigen Schweiz ist die Distanz zu Deutschland spürbar. Hier wird die AfD klar als "rechtsextrem" bezeichnet, die in Lausanne erscheinende Le Temps kritisiert den "vagen Begriff Populismus", mit dem sich die Deutschen, "vielleicht aufgrund historischer Unterschiede" behelfen würden. Zudem druckt das Blatt klassische Reportagen: Eine Journalistin fährt nach Berlin-Marzahn, beschreibt triste Plattenbauten und fragt die Menschen nach ihrer Wahlentscheidung. Eine arbeitslose Mutter, eine Spätaussiedlerin und Heiko 53, Blumenverkäufer im "äußersten Norden Marzahns", schimpfen auf Merkel, die Flüchtlinge, alles, was ihnen unfair erscheint. Für die Leser der Westschweiz sind sie: Deutschland, im Herbst 2017.

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