Meine Presseschau:Das Drama von Hongkong

Die Freiheit der ehemaligen Kronkolonie steht auf dem Spiel. Entsprechend deutlich fallen die Kommentare der Zeitungen aus.

Von Christoph Giesen

Mehr als eine Million Menschen sind auf die Straße gegangen, jeder siebte Hongkonger hat gegen das geplante Gesetz protestiert, das künftig Auslieferungen in die Volksrepublik China gestatten soll. Seit Tagen ist die Stadt daher im Ausnahmezustand, es geht um nicht weniger als die Zukunft und die Freiheit der ehemaligen britischen Kronkolonie. Entsprechend deutlich fallen die Kommentare der Zeitungen aus.

"Dein größter Misserfolg ist die Unkenntnis der Lage auf der Welt. Am 9. Juni gingen Millionen auf die Straße, und du hast ausländischen Kräfte dafür verantwortlich gemacht", schreibt die Hongkonger Zeitung Ming Pao einen offenen Brief an die Regierungschefin Carrie Lam. "Generationen haben hart gearbeitet, um ein zivilisiertes System aufzubauen, und du hast es zerschlagen", wirft die Zeitung Lam vor.

Genauso deutlich geht die englischsprachige South China Morning Post mit Chief Executive Lam ins Gericht: "Die einzige Möglichkeit für Peking, die Regierungsführung in Hongkong zu sichern und das Vertrauen der Menschen wiederherzustellen, besteht darin, Lam zum Rücktritt aufzufordern", schreibt das Blatt, das seit 2016 dem chinesischen Onlinegroßhändler Alibaba gehört.

Unterstützung erhält die Hongkonger Regierung einzig von Pekings Sprachrohr in der Stadt, der linientreuen Wen Wei Po. Die Proteste der vergangenen Tage seien vorsätzlich organisiert worden, mutmaßt die Zeitung. Ziel sei es, die Rechtsstaatlichkeit in Hongkong zu erschüttern, Wohlstand und Stabilität zu zerstören und die nationalen Sicherheits- und Entwicklungsinteressen zu gefährden.

Jenseits der Grenze, in der Volksrepublik, berichten die Medien kaum darüber, welches Drama sich dieser Tage auf den Straßen Hongkongs abspielt. Das Parteiblatt Global Times wittert eine große Verschwörung und raunt: Es sei bemerkenswert, dass die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sich zwei Mal mit Vertretern der Hongkonger Opposition getroffen habe. Zu US-Außenminister Mike Pompeo habe ebenfalls Kontakt bestanden. Außerdem "fuhren Oppositionelle aus Hongkong auch in westliche Länder wie Kanada und Deutschland", notiert die Zeitung und erweckt den Eindruck, als seien die Proteste in Hongkong aus dem Ausland gesteuert worden.

Die Liberty Times, die in Taiwan erscheint, kommt daher zum Schluss: "Die Hongkonger haben zwar ein hohes Einkommen, können aber nicht in Frieden und Zufriedenheit leben. Man kann sagen, dass nach der Übergabe der Souveränität Hongkongs der Zusammenbruch begonnen hat. Es gibt keine zwei Systeme, nur ein Land."

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