Meine Presseschau:Angela Merkels Besuch in Washington

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Die US-Medien finden, die Kanzlerin habe bei Präsident Trump praktisch nichts erreicht. Sie sei passiv und unentschlossen.

Von Hubert Wetzel

Angela Merkel hätte sich die Reise nach Washington eigentlich sparen können. Dieses Fazit zumindest drängt sich auf, wenn man die Berichterstattung der US-Medien über das Treffen der Kanzlerin mit Präsident Donald Trump sichtet. Denn erstens, so der Tenor, habe ihr der Franzose Emmanuel Macron ohnehin die Führungsrolle in der EU abgejagt. Vorbei die Zeit, in der Merkel als die neue Anführerin der freien Welt gefeiert wurde, die all jene Werte hochhält, die Trump mit Füßen tritt. Die Kanzlerin sei derzeit das "schwächste Glied in Europa", schrieb eine Kommentatorin in der Washington Post. Anstatt Macron beim Aufbau eines starken Europas zu helfen, das Trumps Amerika Kontra geben könnte, sei Merkel passiv und unentschlossen.

Und zweitens habe Merkel bei Trump sowieso nichts erreicht, so die Bilanz der amerikanischen Kollegen. In dem Artikel der New York Times über den Besuch lautete der erste Satz: "Präsident Trump und Kanzlerin Angela Merkel versuchten am Freitag überhaupt nicht, ihre unterschiedlichen Ansichten über das Atomabkommen mit Iran und die Handelsbeziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa zu verbergen, nachdem ein Tag voller Treffen im Weißen Haus offenbar keine Durchbrüche bei den großen Streitthemen gebracht hatte." Das war insofern etwas unpräzise, als der "Tag voller Treffen" aus einem eher kurzen Gespräch zwischen Kanzlerin und Präsident sowie einem gemeinsamen Arbeitsmittagessen bestanden hatte. Beides zusammen dauerte gerade zwei Stunden. Ansonsten aber beschrieb der Satz die Lage recht zutreffend.

Andere Medien berichteten ähnlich offen über Merkels Erfolglosigkeit. "Eine verzweifelte Merkel wird von Trump überrollt", titelte die Internetzeitschrift Politico. Das konservative Wall Street Journal, das Trump etwas freundlicher gesinnt ist als die Post und die Times, hob zumindest hervor, dass der Präsident der Kanzlerin gegenüber trotz aller Meinungsverschiedenheiten "Wärme gezeigt" und sie höflich behandelt habe.

Die echte Exklusivnachricht übersahen freilich alle Reporter - außer den fleißigen Schnüfflern vom Daily Caller. Das ist eine beliebte rechte Internetseite, die ständig allerlei linke Verschwörungen gegen den Präsidenten und Amerika aufdeckt. Und nur der Daily Caller hat herausgefunden, warum Merkel wirklich in Washington war. Nix da Iran und Handel. Tatsächlich habe die Kanzlerin Trump die Erlaubnis abluchsen wollen, dass VW die Hunderttausenden stillgelegten Dieselautos, die derzeit in den USA auf gewaltigen Parkplätzen herumstehen, wieder an arme, ahnungslose Amerikaner verkaufen darf. Immerhin sei die Bundesregierung ja an VW beteiligt. Alles klar?

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