Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Mein Leben in Deutschland":Rentenreform und Klimaschutz statt Partys und Alkohol

Unser syrischer Gastautor dachte, junge Deutsche würden sich nur für ihr eigenes Vergnügen interessieren. Doch dann traf er auf eine idealistische Bewegung - und sieht, was jungen Syrern genommen wurde.

Kolumne von Yahya Alaous

Der Jugendrat der "Generationen Stiftung" hatte mich vor etwa einem halben Jahr zu einer Abendveranstaltung eingeladen. Und irgendwie war nichts, wie ich es erwartet hatte: Es gab keine laute Rap- oder Pop-Musik, es gab keine alkoholisierten herumtanzenden Teenager, meine Augen suchten den Boden vergeblich nach zerbrochenen Bierflaschen oder herumliegenden Zigarettenkippen ab.

Es war ein bemerkenswerter Abend, denn die jungen Menschen - allesamt jünger als 25 - sprachen mit Experten wie dem Astrophysiker Harald Lesch über wichtige Themen: Es ging um den Klimawandel, um die Energiewende, um Bildungspolitik, Digitalisierung und dann sogar noch um die Rentenpolitik.

Auf der Veranstaltung, die als "Kampagnenstart" angekündigt war, wurden Bürgerinnen und Bürger - oder wie ich jetzt neu zu schreiben gelernt habe: Bürger*innen - im Rahmen der "Wir kündigen!"-Kampagne dazu aufgerufen, "den Generationenvertrag zu kündigen". Und einen neuen aufzusetzen. Die Begründung: Die jetzt in der Politik fest in ihren Stühlen sitzende ältere Generation plane nicht einmal ansatzweise, das Werteabkommen des Generationenvertrages einzuhalten.

Yahya Alaous

arbeitete in Syrien als politischer Korrespondent einer großen Tageszeitung. Wegen seiner kritischen Berichterstattung saß der heute 43-Jährige von 2002 bis 2004 im Gefängnis, sein Ausweis wurde eingezogen, ihm wurde Berufsverbot erteilt. Nach der Entlassung wechselte er zu einer Untergrund-Webseite, die nach acht Jahren vom Regime geschlossen wurde. Während des Arabischen Frühlings schrieb er unter Pseudonym für eine Oppositions-Zeitung. Als es in Syrien zu gefährlich wurde, flüchtete er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Deutschland. Seit Sommer 2015 lebt die Familie in Berlin. In der SZ schreibt Yahya Alaous regelmäßig über "Mein Leben in Deutschland".

Denn der Generationenvertrag sieht schließlich nicht nur vor, dass Alte sich um Junge - und später dann die Jungen um die Alten - zu kümmern haben, sondern er impliziert auch, dass die Alten stets bemüht sein sollten, den nachfolgenden Generationen eine bessere Welt zu hinterlassen. Doch angesichts der nahenden Klimakatastrophe, plastikvermüllten Meeren und Massentierhaltung, die auf Profitmaximierung setzt, ungeachtet der Konsequenzen für Mensch, Tier und Umwelt, scheint dieser Vertrag, so die jungen Aktivisten, für sie nicht mehr haltbar zu sein.

Ich fand es beeindruckend, wie der Jugendrat vor hunderten von Gästen seine Positionen vertrat, und auch der Publikumszuspruch war groß. Überhaupt fand ich diese jungen Menschen, denen oft vorgeworfen wird, sich nur für Partys, Alkohol und Sex zu interessieren (was meiner bescheidenen Beobachtung nach auch auf viele Teenager zutrifft), bemerkenswert. Deshalb widme ich ihnen diese Kolumne. Am Ende der Redebeiträge kündigten die jungen Aktivisten dann auch tatsächlich wortstark den Generationenvertrag auf.

Auch wenn diese jungen Aktivist*innen noch nicht die perfekten Lösungsansätze für all die weltbedrohenden Probleme parat hatten, so insistierten sie zumindest darauf, dass die Mächtigen sich diesen Themen, die in ein paar Jahren für die Jungen lebensgefährlich zu werden versprechen, umgehend zu widmen haben.

Ein halbes Jahr später sind mir diese jungen Menschen, die ich so engagiert auf der Bühne in Berlin erleben durfte, in den Medien zigfach wieder begegnet. Plötzlich diskutierte ein junger Mann des Jugendrats mit dem gestandenen Chef der Senioren-CDU in einer großen Sonntagszeitung. Eine junge Frau sah ich im MDR in einer Talkshow. Sie trug ihre Forderungen zu einer gerechten Rentenpolitik sehr freundlich und eloquent vor, während die über 65-Jährigen in der Runde sie einfach nicht ernst zu nehmen schienen. Dabei hatte sie nur die auf der Hand liegenden Missstände, mit denen sich ihre Generation konfrontiert sieht, vorgetragen.

Doch die junge Generation kann sich gar nicht genug sorgen und engagieren, sie ist es ja, die noch einige Jahrzehnte lang mit der heute von Alten entwickelten Politik zu leben hat - und ich habe das Gefühl, dass es immer mehr Deutsche gibt, die das genauso sehen. Wie hätte sonst die "Fridays for Future"-Bewegung, die der Jugendrat ausdrücklich unterstützt, so viel mediale Aufmerksamkeit bekommen?

Tausende Erwachsene, unter ihnen auch Politiker, unterstützen die Proteste, weil sie spüren, dass die jungen Leute mit all ihren Anklagen und Forderungen Recht haben. Vielleicht auch, weil sie - ein wenig schuldbewusst - erkannt haben, dass sie die wahrscheinlich letzte Generation sind, die noch auf einem halbwegs intakten Planeten leben konnte - wenn sich nicht sofort ganz viel ändert.

Ich staune über diese Protestbewegungen, denn sie macht "ihr Ding" anstatt sich einer der alten, etablierten Parteien anzuschließen und dort zu versuchen, nach der Macht zu greifen - dem eigentlich für politische Karrieren vorgesehenen Weg.

Wenn aus einer dieser Jugendbewegungen nun eine politische Partei erwachsen würde, wäre ich nicht erstaunt. Ich wäre es nicht einmal, wenn diese junge Partei bei den nächsten Wahlen an den altgedienten vorbeiziehen würde. Wenn ich mir diese jungen Menschen ansehe, dann sehe ich nicht in erster Linie einen Mangel an Erfahrung, sondern eine idealistische Kraft, die wir dringend benötigen. Und genau das braucht Deutschland.

Ich glaube, dass wir uns auf dem besten Weg in eine von der jungen Generation initiierten sanften Revolution befinden - einer Revolution, von der wir alle nur profitieren werden.

Bevor ich nach Deutschland kam, hatte ich die Angewohnheit, in einem Park in meiner Heimat Damaskus spazieren zu gehen. Parks gab es nicht viele und die wenigen waren nicht üppig grün wie die hierzulande. Ich erinnere mich, wie ich einen Jungen sah, der zwischen den Bäumen herumlief und heimlich einzelne grüne Zweige abbrach, um sie in einen Beutel zu stecken. Kurz darauf beobachtete ich ihn erneut und stellte ihn zur Rede: warum er das macht? Er müsse doch wissen, dass wir ohnehin nicht viel Grün in der Stadt hätten. Er erklärte, er müsse das machen, denn seine Familie habe kein Geld für Heizöl, und anders sei es ihr nicht möglich, in kalten Nächten zu heizen.

Diese kleine Begebenheit erinnert mich daran, wie der Krieg meine Landsleute veränderte, wie er sie in eine andere, schreckliche Welt entführte. Was für ein Unterschied zur deutschen, jungen und engagierten Zivilgesellschaft, der ich zum ersten Mal an diesem Abend in Berlin begegnen durfte. In Syrien sind aus Menschen Kämpfer geworden. Arbeiter, Mitglieder politischer Gruppen und Parteien, einst allesamt Bürger und stolze Syrer, bekriegen sich gegenseitig. Wer eine Waffe trägt, wer nur auf der Suche nach Nahrung und ein wenig Wärme in kalten Nächten ist, der kümmert sich nicht um die Umwelt und das Wohlergehen des Planeten.

Was werden wir den kommenden Generationen hinterlassen? Kriege, verbrannte Landschaften, zerstörte Städte und kaum mehr natürliche Ressourcen. Angesichts dessen kann ich den Slogan der jungen Aktivisten, der da "Wir kündigen!" lautet, vollkommen verstehen.

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