Mein Leben in Deutschland"Integration ist eine sehr persönliche Entscheidung"

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Flüchtlinge besuchen eine Informationsveranstaltung in Berlin.
Flüchtlinge besuchen eine Informationsveranstaltung in Berlin. (Foto: Getty Images)

Unseren syrischen Gastautor verfolgt der Integrationswille bis in seine Träume. Wie zuletzt, als er von einem Mixer träumte, der Flüchtlinge in Deutsche verwandelt. Eine neue Folge von "Mein Leben in Deutschland".

Kolumne von Yahya Alaous

Als Flüchtling ist es wichtig, seinen eigenen Integrationsprozess immer im Blick zu haben. Am besten preist man den Tag schon in der Früh als einen idealen Morgen, vergewissert sich dann tagsüber immer mal wieder laut, dass man gut integriert sei und dann natürlich abends, vor dem zu-Bett-gehen, muss man das Mantra "Ich mag meine Integration" aussprechen - auch als Schutz vor schlechten Träumen.

Für Flüchtlinge, die ein Teil der hiesigen Gesellschaft werden wollen, ist Integration ein großes Thema. Ich selbst bin immer auf der Suche nach neuen Wegen zur Integration, die ich gerne auch anderen Integrationswilligen nahebringen will. Die Regierung erfindet auch ständig neue, manchmal auch kaum beachtete. Das ist nicht fair. Ich aber denke ständig daran, und dann passiert es auch, dass mich meine Gedanken bis in meine Träume verfolgen. Manchmal gute, manchmal ganz fürchterliche.

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Der letzte Traum drehte sich um einen riesigen Mixer. Er hatte zwei Türen und trug eine deutsche Flagge. Davor warteten viele Menschen in einer langen Schlange: Afrikaner, Asiaten, Syrer und Afghanen. Sie alle betraten einer nach dem anderen den Mixer, der sich auf die höchste Stufe stellte und sie dann als vermeintlich perfekte Deutsche durch die zweite Tür entließ.

Einige wirkten sehr glücklich, als sie den Mixer betraten und verließen, andere wussten nicht, ob sie den richtigen Schritt begehen, andere waren überängstlich. Nur eines war klar: dass sich ihre Kinder für all das gar nicht interessierten!

Plötzlich schlug ein Gerät im Mixer aus, das meldet, wenn Flüchtlinge auf Ärger aus waren. Einige weigerten sich, in den Mixer zu gehen, andere versuchten, wegzulaufen. Aber die Polizisten, die in meinem Traum die Uniformen der Sicherheitsmitarbeiter des Job Centers trugen, schnappten die Flüchtlinge und schleppten sie in den Mixer. Ich wachte auf, voller Angst, war durstig, ging zum Kühlschrank. Fand Würste und Senf im Kühlschrank, und dann nahm ich noch ein paar Schlucke meines geliebten Weizenbiers. Aber der Traum ließ mich nicht los.

Diese Flüchtlinge, die sich nicht in den Mixer sperren lassen wollten: Hatten sie nicht das Recht den Integrationsprozess zu verweigern? Und trotzdem die gleiche soziale Unterstützung zu erhalten? Dürfen sie Integration wirklich nicht ablehnen, ist es normal und selbstverständlich, dass ihnen dann Leistungen gekürzt werden und psychologisch Druck aufgebaut wird, wenn sie nicht zu Deutschkursen gehen wollen? Können sie nicht einfach nur Schutz unter internationalen Gesetzen genießen?

Ich kann nicht abschätzen, wie viele Flüchtlinge Deutschland nur als ihr temporäres Zuhause bezeichnen, aber es gibt sehr viele, die sehnsüchtig darauf warten, zurückzukehren. Ob man hier bleiben will oder nicht - das ist eine konstante Diskussion innerhalb von syrischen Familien. Natürlich geht es dabei auch um den Integrationsprozess, der auch unter den Familienmitgliedern variieren kann. Ich selbst glaube, dass ich einen guten Integrationslevel erreicht habe, trotzdem möchte ich sehr bald nach Syrien zurück. Das ist meine individuelle Entscheidung - meine Frau und meine beiden Töchter haben andere Pläne.

Immer wieder müssen wir uns selbst und auch Deutschen gegenüber antworten: Wann und wie sollen wir zurückgehen? Ob wir nicht unser Land wieder aufbauen wollen? Diese Art der Fragen wirken zunächst unschuldig, für mich aber sind sie voller Ängste. Mit ihnen unterscheiden wir zwischen denen, die sich um ihr Land sorgen und denen, die sich vor ihrem Land fürchten.

Wenn wir unser Land nicht wieder selbst aufbauen, wird es niemand für uns tun

Für die Flüchtlinge, die zurückgehen werden, sind diese Fragen kein Problem. Ihre Antworten sind klar. Zurück, komme was wolle, egal was wir vorfinden werden. Für die jungen Männer, die in ihren Ländern Krieg, Arbeitslosigkeit und ein schlechtes Bildungssystem erleiden mussten, kann die Entscheidungslage ganz anders aussehen. Diese Gruppe wird zum großen Teil nicht zurückkehren wollen. Sie werden sagen, dass sie noch studieren müssen. Oder dass sie mehr darüber lernen wollen, wie Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde. Natürlich würden wir unser Land ohne türkische Unterstützung wiederaufbauen. Wenn wir unser Land nicht wieder selbst aufbauen, wird es niemand für uns tun.

Während viele Familien Fortschritte bei der Integration erleben, widersetzen sich noch viele andere dem Integrationsmixer, einige sind schon wieder in die Heimat zurückgegangen, und wieder andere sind überhaupt nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Bis diese Menschen die Chance haben, über ihre Rückkehr zu entscheiden, müssen wir verstehen, dass Integration nichts für sie bedeutet. Offizielle Entscheidungen zur Integration werden diese Menschen nicht betreffen, denn eines, dürfen wir nicht vergessen: Integration ist zuallererst eine sehr, sehr persönliche Entscheidung.

Übersetzung: Jasna Zajček

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