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Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat:Schlüssel zur Macht

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Bei einem Wahlsieg von Rot-Grün in Niedersachsen würde der Bundesrat zur entscheidenden Macht in der Republik. Er könnte alle Gesetzentwürfe der Regierung scheitern lassen - und damit Angela Merkels Koalition stilllegen. Richtig stören müsste sie diese Mehrheit aber nicht - wenn da nicht der Vermittlungsausschuss wäre.

Von Robert Roßmann, Berlin

Der Bundesrat steht nicht gerade im Fokus des öffentlichen Interesses. In die Tagesschau schafft es die Länderkammer eher selten. Doch das könnte sich jetzt ändern. Denn bei einem Wahlsieg von Rot-Grün in Niedersachsen würde der Bundesrat zur entscheidenden Macht in der Republik. Er könnte alle Gesetzentwürfe der Regierung scheitern lassen - und damit Angela Merkels Koalition stilllegen. Wie kann das sein?

Schon seit Längerem besitzen die Länder, die von den Koalitionsparteien regiert werden, im Bundesrat keine eigene Mehrheit mehr. Die Kanzlerin kann deshalb die zustimmungspflichtigen Gesetze nur noch mit Billigung der SPD- und Grün-regierten Länder durchsetzen. Aus diesem Grund scheiterte etwa das Steuerabkommen mit der Schweiz.

Derzeit verfügen aber auch die ausschließlich von Sozialdemokraten, Grünen und Linken regierten Länder über keine eigene Mehrheit. Sie kontrollieren nur 30 der 69 Sitze, die Länder aus dem Lager der Bundesregierung kommen auf 21 Sitze - und die fünf großen Koalitionen auf 18. Letztere müssen sich in der Länderkammer bei strittigen Gesetzen enthalten. Dass der Gesetzentwurf des SPD-regierten Hamburgs für eine Frauenquote im vergangenen Jahr trotzdem eine Mehrheit im Bundesrat erhielt, lag am Seitenwechsel der drei großen Koalitionen in Sachsen-Anhalt, Berlin und dem Saarland.

Union und FDP können mit ihrer Mehrheit im Bundestag jedoch jeden Gesetzentwurf der Länderkammer blockieren - auch die Frauenquote wird deshalb nicht Gesetz. Für die Bundesregierung ist eine eigene Mehrheit der Opposition in der Länderkammer deshalb unangenehm, wie die medialen Wellen nach dem Frauenquoten-Beschluss gezeigt haben. Richtig stören müsste sie diese Mehrheit aber nicht - wenn da nicht der Vermittlungsausschuss wäre.

Der Vermittlungsausschuss machts möglich

Das gemeinsame Gremium von Bundestag und Bundesrat soll bei unterschiedlichen Auffassungen zwischen den beiden Kammern schlichten. Im Vermittlungsausschuss haben SPD, Grüne und Linke schon länger eine Mehrheit, die sie bisher aber nicht nutzen können. Denn der Ausschuss kommt erst ins Spiel, wenn er von der Mehrheit des Bundesrats angerufen wird. Diese Mehrheit fehlt der Opposition aber bisher. Sollte sie in Niedersachsen gewinnen, hätte sie jedoch beide Schlüssel für das Doppelschloss in der Hand: Die Mehrheit im Bundesrat, um den Vermittlungsausschuss anzurufen. Und die Mehrheit im Vermittlungsausschuss, mit der sie dann alle Gesetze blockieren kann.

Wie das geht? Die Opposition könnte mit ihrer Mehrheit im Vermittlungsausschuss auch die Behandlung der eigentlich nicht zustimmungspflichtigen Gesetzentwürfe ein ums andere Mal vertagen - und sie damit praktisch stoppen. Das Verfassungsgericht hat dem Ausschuss zwar Grenzen auferlegt. Jahrelang dürfte er das Spiel nicht betreiben. Aber die Wahl ist ja schon im September, die letzte Sitzung des Bundestags sogar schon am 28. Juni. So lange könnte der Ausschuss problemlos alle Gesetzentwürfe vertagen, ohne Ärger mit Karlsruhe zu bekommen. In der Praxis heißt das: Sollte Niedersachsen rot-grün werden, könnte die schwarz-gelbe Koalition vor der Bundestagswahl aus eigener Kraft kein einziges Gesetz mehr durchbringen. Und Deutschlands Gesetzgebungsmaschinerie stünde still.

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SZ vom 19.01.2013
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