Süddeutsche Zeitung

Medizinstudent stirbt in Aleppo:Märtyrer aus Greifswald

Er war zuversichtlich, dass in seiner Heimat Syrien am Ende die Demokratie siegen würde und verfasste deshalb Aufrufe im Internet. Dann ging Husam A., der in Deutschland Medizin studierte, selbst nach Aleppo - um zu kämpfen. Jetzt steht im Internet die Meldung seines Todes.

Frederik Obermaier

Als der Film über ihn gedreht wurde, war Husam A. noch zuversichtlich. Zuversichtlich, dass die syrischen Revolutionäre siegen würden. Zuversichtlich, dass am Ende die Demokratie gewinnt. Dass Assad gestürzt wird. Bis dahin wolle er weitermachen, hatte er vor einem Jahr in die Kameras eines deutschen Filmteams gesprochen.

Er hatte den Journalisten erzählt, was er in den Folterkellern von Syriens Herrscher Baschar al-Assad erlebt hatte. Es war die bewegende Geschichte eines Greifswalder Studenten, der in seine Heimat zurückgekehrt war, um dort das Regime zu stürzen. Anfangs war es ein friedlicher Protest, später griff Husam A. zur Waffe - und fand nun offenbar den Tod.

Am vergangenen Dienstag, in den frühen Morgenstunden, traf eine Kugel den 25-Jährigen in den Kopf, so jedenfalls erzählen es seine Freunde von der Opposition. Bilder und Videos, die im Internet kursieren, zeigen seinen Leichnam: schwarze, zottelige Haare, blasses Gesicht, geronnenes Blut.

Husam A. wollte angeblich gerade die Leiche eines Kameraden von einer Kreuzung am Stadtrand von Aleppo ziehen, als ihn ein Scharfschütze ins Visier nahm. Sein Mörder soll den gefürchteten Schabiha-Milizen angehören, Assads Männern fürs Grobe. Nur wenige Stunden nach dem Tod des Greifswalder Medizinstudenten sollen mehrere Milizionäre von Kämpfern der oppositionellen Freien Syrischen Armee hingerichtet worden sein - auch aus Rache für den Tod von Husam A.

Auf seiner Facebook-Seite hatte der 25-Jährige am Montag selbst noch das Bild eines getöteten Rebellen gepostet - eines "Märtyrers", wie die oppositionellen Kämpfer ihre gefallenen Kameraden nennen. Wenig später war auch er ein Märtyrer. "Möge Allah ihn segnen und einen Platz im Paradies bereiten", haben Freunde auf Facebook gepostet.

Husam A. studierte schon in Greifswald, als der Arabische Frühling begann. Er war nach einer Laboranten-Lehre nach Deutschland gekommen. Im Fernsehen sah er, wie das tunesische Volk Diktator Zine el-Abidine Ben Ali verjagte und er sah, wie Ägyptens Autokrat Hosni Mubarak verhaftet wurde. "Husam fragte damals schon immer, wann es auch bei uns, in Syrien, endlich so weit sei", erzählt der 27-jährige Abu Jamal, der in Wirklichkeit anders heißt.

Er war der beste Freund von Husam A., in Greifswald haben sie sich im Studentenwohnheim ein Zimmer geteilt. Abu Jamal stammt aus Daraa, jener Stadt, in der vor 17 Monaten der Aufstand begann. Er und Husam A. saßen oft zusammen und überlegten, was sie für die Revolution in ihrer Heimat tun könnten.

Husam A. gründete eine Facebook-Gruppe namens "Freedom Flowers Coordination - Aleppo". Er habe nur ein Ziel gehabt, erzählt Abu Jamal. "Er wollte die Revolution nach Aleppo bringen." Heute toben in der zweitgrößten Stadt Syriens heftige Kämpfe, damals kannten dort viele den Aufstand nur vom Hörensagen.

Im März 2011 reiste Husam A. nach Aleppo. In seiner Heimatstadt verteilte er Flugblätter - und wurde festgenommen. Assads Sicherheitskräfte steckten ihn ins Gefängnis. Wie es ihm dort erging, schilderte Husam A. nach seiner Freilassung einem Fernsehteam des ARD-Weltspiegels: "Wir waren 38 Leute in einem acht Quadratmeter großem Zimmer, und manche Nächte habe ich auf einem Bein verbracht, weil es gab unter uns keinen Platz für den anderen."

Mit ruhiger Stimme erzählte Husam A., wie ihn die Aufseher mit Elektrokabeln und Stöcken schlugen, ihm Zigaretten auf den Handflächen ausdrückten - und wie er seinen Bruder und seine Schwester in Zellen nebenan schreien hörte. Sie waren das Druckmittel von Assads Leuten. "Sie haben mich bedroht: Wenn ich nicht erzähle, was sie wollen, sie würden meinen Geschwistern Gewalt antun."

Also erzählte Husam A., warum er nach Syrien zurückgekehrt war, warum er gegen Assad demonstriert, warum er zum Protest aufgerufen hatte. Nach 30 Tagen ließen Assads Männer ihn gehen. Auf Dringen seiner Eltern, die in Aleppo blieben, ging er zurück nach Deutschland. Weiterstudieren, wie sein Vater hoffte. Doch Husam A. ging vor allem demonstrieren, etwa vor der syrischen Botschaft in Berlin. Filmaufnahmen zeigen ihn mit einem weißen T-Shirt, darauf steht: "Stoppt das Massaker in Syrien".

Dass er heimlich über die türkische Grenze nach Aleppo zurückgekehrt war, erfuhren seine Eltern erst nach seinem Tod. "Die Kämpfer der Freien Syrischen Armee übergaben seinem Vater den Leichnam", erzählt ein Freund, der in Deutschland lebt, und aus Angst vor dem syrischen Geheimdienst seinen Namen nicht nennt. Der Vater begrub seinen Sohn nur wenige Stunden nach dessen Tod an einem geheimen Ort. Assads Milizen sollten den Leichnam nicht schänden können.

Aber die Welt sollte wissen, was mit Husam A. passiert ist. Seine Freunde verbreiteten deshalb die Nachricht seines Todes im Internet. Und sie veröffentlichten Fotos: Husam A. in der Universität, mit Freunden, beim Skifahren. Es sind Fotos aus friedlichen Zeiten. Andere zeigen ihn mit einem Patronengürtel um den Hals oder mit einem Maschinengewehr im Anschlag. Es sind die Bilder des syrischen Bürgerkriegs.

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SZ vom 06.08.2012/fran
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