Süddeutsche Zeitung

Medikamententests:Lernen von Demenzkranken

Gesundheitsminister Gröhe will neue Studien erlauben. Die Kirchen sehen im geplanten Gesetz ein großes Risiko für Missbrauch.

Von Kim Björn Becker

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat die von seinem Ministerium geplanten gesetzlichen Änderungen für klinische Studien gegen Kritik verteidigt. Die Regelungen sehen vor, dass Demenzkranke und andere Personen, die nicht voll einwilligungsfähig sind, unter bestimmten Voraussetzungen an medizinischen Studien teilnehmen können. Der "Wille und der Schutz der Patienten stehen zu jedem Zeitpunkt an erster Stelle", sagte Gröhe dem Berliner Tagesspiegel. Die geplante Gesetzesänderung solle dazu beitragen, unter anderem Demenzerkrankungen "besser zu verstehen und zu behandeln".

Laut dem Entwurf sollen zum Beispiel Demenzkranke an entsprechenden Studien teilnehmen können, wenn sie dies vor dem Ausbruch ihrer Krankheit in einer Patientenverfügung festgehalten haben. Darüber hinaus muss der jeweilige Betreuer der Teilnahme an einer konkreten Studie abermals zustimmen, nachdem dieser über die Risiken sowie den zu erwartenden Nutzen aufgeklärt worden ist. Personen, die von Beginn ihres Lebens an nicht einwilligungsfähig waren, bleiben außen vor. Insbesondere die beiden großen Kirchen hatten zuvor kritisiert, dass Demenzkranke im Zuge des neuen Gesetzes nun auch an Medikamententests beteiligt werden können, die keinen individuellen Nutzen für sie in Aussicht stellen, sondern lediglich einen Nutzen für eine größere Gruppe von Patienten mit derselben Diagnose. Dies sei "besonders problematisch", rügten evangelische und katholische Kirche in einem gemeinsamen Papier und wiesen darin auf "schwerwiegende Gefahren und Missbrauchsrisiken" hin: "Dass eine derartige Verzweckung des Menschen gegen dessen Würde verstößt, steht für uns außer Zweifel". Auch der Bundesverband der Lebenshilfe warnte vor den möglichen Folgen des Gesetzes. "Menschen mit geistiger Behinderung dürfen nicht zu Versuchskaninchen werden", sagte Ulla Schmidt am Freitag. Die frühere SPD-Gesundheitsministerin und derzeitige Vizepräsidentin des Bundestages ist auch Bundesvorsitzende der Lebenshilfe. Die geplante Regelung gleiche einem "Persilschein", den Demenzkranke erteilen und der jegliche Forschung mit ihnen möglich mache.

Hermann Gröhe hob demgegenüber hervor, dass die neue Regelung nur für jene gelte, die vor dem Beginn ihrer Krankheit einer Teilnahme an sogenannten gruppennützigen Tests ausdrücklich zugestimmt hätten. Zudem seien ohnehin nur Studien "mit einem minimalen Risiko" zulässig.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2016
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