Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:"Fiebersaft ist nach wie vor ein Riesenthema"

Bei 300 Medikamenten gibt es in Deutschland derzeit Lieferprobleme. Also für 0,3 Prozent aller Arzneien.

Von Elisabeth Dostert

Den persönlichen Lieferengpass in der Apotheke hat fast jeder schon erlebt. Das ultrasensitive Pflaster, Größe acht mal zehn Zentimeter, das sich so schmerzlos vom haarigen Schienbein ziehen lässt, ist nicht vorrätig. Das ist verkraftbar. Was aber, wenn das Kind mit Fieber im Bett liegt, doch Säfte mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol in der Apotheke an der Ecke nicht zu bekommen sind und zwei Straßen weiter auch nicht. Solche Berichte machen seit Monaten die Runde. Aber wie wird es diesen Winter werden? "Fiebersaft für Kinder ist nach wie vor ein Riesenthema. Es wird nicht besser", sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika in Berlin. Der Verband vertritt die Hersteller von Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist.

Lieferengpässe bei Medikamenten gibt es seit Jahren. Schuld ist, je nachdem, mit wem man spricht, meist der andere: Der Staat, die gesetzlichen Krankenkassen mit ihren Festpreisen und Rabatten, die "gewinnsüchtigen" Hersteller, die Wirkstoffe aus Ländern wie China und Indien beziehen oder gleich das komplette Arzneimittel. Für manche Wirkstoffe, das zeigen Studien, gibt es nur wenige Hersteller, fällt einer aus oder sind die Lieferketten wie in der Pandemie gestört, kann es schnell zu Engpässen kommen.

Fast 300 Lieferengpässe führt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz Bfarm, derzeit in seiner Übersicht auf, darunter Antibiotika, Medikamente für Diabetiker und Herzinfarkt-Patienten. In Deutschland sind etwa 100 000 Humanarzneimittel zugelassen. Für jede Dosierung, jede Darreichungsform braucht es eine eigene Zulassung. Rund 300 Meldungen, das wären 0,3 Prozent, gar nicht so viel. Aber es müssen nicht alle Lieferengpässe gemeldet werden, so ein Bfarm-Sprecher, etwa, weil es sich nicht immer um versorgungsrelevante Wirkstoffe handele.

Bei einem Brustkrebs-Medikament war es zeitweise eng

Ein Lieferengpass sei eine über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende "Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann". "Ein Lieferengpass ist kein Versorgungsengpass, bei dem die Versorgung von Patienten gefährdet wäre, auch weil es keine Alternativen gibt", so der Bfarm-Sprecher: "Versorgungsmängel sind in Deutschland sehr selten."

Einer der seltenen Fälle trat Anfang des Jahres ein. Medikamente mit dem Wirkstoff Tamoxifen fehlten, es wird in der Brustkrebs-Therapie eingesetzt. Generikahersteller argumentierten, dass die Produktion nicht mehr lohne. Für eine Drei-Monats-Packung erhalte der Hersteller von den Krankenkassen weniger als neun Euro. Das Bfarm reagierte. Es rief die Ärzte auf, kleinere Packungsgrößen zu verordnen. Und Tamoxifen-Produkte durften importiert werden. Für andere Länder lohnte sich die Produktion wohl noch.

Beim Fiebersaft für Kinder konnte das Bfarm keinen "Lieferabriss" feststellen. Die "eingeschränkte Verfügbarkeit" schreibt es dem Rückzug eines Unternehmens zu und einer "Verteilproblematik". 2022 sei die Nachfrage überproportional gestiegen, weshalb habe nicht befriedigend geklärt werden können. Behörden spekulieren nicht. Marktexperten berichten, dass es aus Sorge vor einem Mangel zu Hamsterkäufen gekommen sei. Gut möglich, dass in manchen Medikamentenschränkchen ganz viel Fiebersaft rumsteht.

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