Mediennutzung:Gewalt und Spiele

Bundesinnenminister de Maizière gibt Ego-Shootern eine Mitschuld an der Amoktat von München. Dabei ist ihre Wirkung auf Jugendliche nicht belegt. Nun dürfte eine Debatte neu beginnen, die längst beendet schien.

Von Jannis Brühl

Bundesinnenminister Thomas de Maizière gibt Computerspielen mit Gewaltdarstellungen eine Mitschuld an der Tat von München. Klar sei, sagt der Minister, dass das "unerträgliche Ausmaß von gewaltverherrlichenden Spielen im Internet auch eine schädliche Wirkung auf die Entwicklung von Jugendlichen hat. Das kann kein vernünftiger Mensch bestreiten." Er impliziert, David S. habe sich von solchen Spielen inspirieren lassen. Damit kommt wieder eine Debatte auf, die seit Jahren als beendet galt.

Medieninformatiker Maic Masuch forscht an der Uni Duisburg-Essen zur Wirkung von Computerspielen und sagt: "Kein vernünftiger Wissenschaftler kann das mit einer solchen Sicherheit behaupten. Und wenn das kein Wissenschaftler kann, kann das auch kein Minister." Auch wenn de Maizière vage auf "viele Studien" verweist, wie gefährlich die Spiele seien, fehlt seiner These eine klare empirische Grundlage. Die Lage ist zu komplex für einen politischen Slogan. Nach den Amokläufen von Erfurt 2002, Emsdetten 2006 und Winnenden 2009 debattierte die Politik über "Killerspiele", die Forderung nach einem Verbot schaffte es sogar in den Koalitionsvertrag der ersten Merkel-Regierung 2005. Ego-Shooter wie "Counter-Strike" standen im Mittelpunkt der Kritik. Die Debatte nahm Züge einer moralischen Panik an, Millionen friedlicher Computerspieler fühlten sich diskreditiert.

De Maizières These über den Einfluss der Spiele ist nicht bewiesen. Für jede Studie, die dies belegen will, gibt es mindestens eine, die das Gegenteil besagt. Eine Langzeitstudie der Uni Bielefeld, für die seit mehr als 15 Jahren Jugendliche befragt werden, kommt zur Erkenntnis: "Der Konsum von Gewaltmedien führt erwartungsgemäß zu keiner direkten Verstärkung der Gewaltdelinquenz, allerdings zu einer Verstärkung von Einstellungen, die gewalttätiges Verhalten befürworten."

Trotz der Millionen Deutschen, die "Call of Duty" spielen, gibt es keine Gewaltepidemie

Dass es kaum möglich ist, seriöse Ableitungen aus vorhandenen Studien zu ziehen, haben die Wissenschaftler Astrid Zipfel und Michael Kunczik 2010 im Auftrag der Familienministeriums beschrieben. Die Frage, ob Jugendliche Gewalt anwenden, hänge insbesondere davon ab, was jenseits des Bildschirms passiert. Die Autoren verweisen auf das soziale Umfeld als zentralen Einflussfaktor: "Als stärker gefährdet gelten Kinder, die in Familien mit einem hohen bzw. unkontrollierten Medien(gewalt)konsum aufwachsen und in Familie, Schule und/oder ihrer Peer-Group auch in der Realität viel Gewalt erleben, so dass sie hierin einen ,normalen' Problemlösungsmechanismus sehen." Leben die Eltern keine Gewalt vor und kümmern sich um die "Mediengewaltnutzung" ihrer Kinder, seien diese relativ immun gegenüber negativen Auswirkungen.

Allein das Ego-Shooter-Reihe "Call of Duty" haben Millionen Deutsche gespielt, viele exzessiv. Eine Gewaltepidemie gibt es trotzdem nicht. Wäre der Zusammenhang so einfach, sagt Masuch, "könnte man umgekehrt auch nur noch Lernspiele einsetzen, dann könnten wir ja die Schule abschaffen."

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