Medienexperte:"Die Terroristen wollen in Europa ein feindliches Klima für Muslime schaffen"

Medienstrategie des Islamischen Staats nach den Anschlägen

Der IS hat eine ausgefeilte Medienstrategie und setzt auch auf "Wohnzimmertäter", die die Gräueltaten im Netz streuen.

(Foto: AHMAD AL-RUBAYE; AFP; Grafik: SZ.de)

Während der Anschläge in Brüssel haben IS-Anhänger versucht, Hass und Angst auf Twitter zu verbreiten. Funktioniert das?

Interview von Lukas Ondreka

SZ: Im Zuge der Anschläge in Brüssel, mit denen sich der IS brüstet, wurden über zahlreiche Twitter-Accounts falsche Nachrichten und Propaganda gesendet - vermutlich von IS-Anhängern. Herr Arn, was ist das Ziel solcher Tweets?

David Arn: In den Tweets wird unter anderem behauptet, dass in Krankenhäusern und einer Universität Bomben platziert seien. Das zielt ganz klar auf die Einschüchterung und Verunsicherung der Öffentlichkeit. Indem sie sich an Hashtags anhängen, die von vielen genutzt werden, erreichen sie neben Sympathisanten auch eine breite Öffentlichkeit. Grundsätzlich ist es schwierig zu sagen, wer dahinter steckt. Die dschihadistische Szene und ihre Medienproduktion ist sehr dezentral organisiert: Es gibt viele Sympathisanten, die solche Nachrichten verschicken. Das müssen nicht automatisch IS-Kämpfer sein.

Zur Person

David Arn arbeitet am Institut für den Nahen und Mittleren Osten an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er forscht zu arabischen Medien und der Kommunikationsstrategie der Terrororganisation Islamischer Staat.

Ein Sympathisant der Terroristen rechtfertigt auf Twitter die Anschläge als Rache an der Anti-IS-Koalition.

Auge um Auge, Zahn um Zahn: Das ist die zentrale narrative Legitimationsstrategie in allen Nachrichten des IS, sei es in diesen Tweets oder in den brutalen Hinrichtungsvideos, die wir kennen. Das Großziel hinter den Anschlägen und der Propaganda ist die "Auslöschung der Grauzone", wie der IS das nennt. Die Terroristen wollen in Europa ein feindliches Klima für Muslime schaffen, so dass sich die Muslime vermeintlich nur noch zwischen der Assimilation im "ungläubigen" Europa und dem aus der Sicht des IS wahren Glauben entscheiden können.

Brüssel Twitter

Auf Twitter streut ein IS-Anhänger Fehlinformationen, um Angst zu schüren.

(Foto: SZ)

IS-Anhänger haben auf Twitter auch mit Anschlägen in Deutschland gedroht. Brauchen wir stärkere Sicherheitsbehörden im Netz?

Grundsätzlich ist diese Drohung ernst zu nehmen. Deutschland ist seit Ende 2014 Ziel der Islamisten, weil es zusammen mit Frankreich an der Koalition gegen den IS beteiligt ist. Gleichzeitig sind im virtuellen Raum so viele Drohungen, dass es für die Behörden schwierig ist, auszumachen, was ernst gemeint ist und was nicht. Deshalb die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden auszuweiten, wäre ein Fehlschuss. Es ist das Ziel der Dschihadisten, die Staaten dazu zu bringen, Freiheiten zu verraten. Außerdem führt eine flächendeckende Überwachung der Kommunikation am Ziel vorbei. Denn die meisten relevanten Islamisten sind seit Jahren als Gefährdung bekannt und polizeilich erfasst.

Gibt es eine Gegenstrategie?

Die Accounts wurden von Twitter gelöscht. Kann man so dem Problem Dschihadismus im Netz Herr werden?

Spätestens seit Paris gab es großen politischen Druck auf die Betreiber von Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter und Nachrichtendiensten wie Telegram, mehr dafür zu tun, solche Konten zu löschen. Dass im Zuge der Attacken in Brüssel mehrere IS-Sympathisanten auf Twitter wiederholt gesperrt wurden, zeigt, dass dies Wirkung zeigte. Aber man wird nie ganz verhindern können, dass Dschihadisten unter anderem Namen weiter ihre Hassbotschaften verbreiten. Einschränken könnte man das nur, indem man die Freiheiten im Internet radikal beschneiden würde. Und das wäre für unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung das Ende. Für Freiheit müssen wir bereit sein, Risiken einzugehen.

Neben der anti-westlichen Propaganda nutzt der IS die Sozialen Medien vor allem auch für Radikalisierung und Mobilisierung. Welche Rollen spielen soziale Netzwerke?

Inwiefern der Konsum zu Radikalisierung beiträgt oder die Radikalisierung schon vorher vorhanden war, ist sehr umstritten. Aber zweifelsohne entstehen und bestehen Kontakte über soziale Netzwerke. Und im Gegensatz zu Telefon und Email kann man länger unbemerkt und anonym miteinander kommunizieren. Die Technik spielt den Terroristen in die Hände. Aber das ändert nichts daran, dass eine lückenlose Überwachung der sozialen Netzwerke praktisch nicht machbar und politisch nicht sinnvoll ist.

Wie unterscheidet sich die Medienarbeit des Islamischen Staats von anderen Terrornetzwerken wie al-Qaida?

Al-Qaida ist eine sehr viel klassischere Terrororganisation. Nicht nur personell, sondern auch medial hat der Islamische Staat dem Terrornetzwerk den Rang abgelaufen. Der IS hat mehrere zentrale Medien- und Produktionsbüros, die in verschiedenen Sprachen Videos und Texte für die Sozialen Medien und Internetseiten produzieren. Die Verteilung erfolgt dann wiederum dezentral: Es gibt viele Beispiele von Wohnzimmertätern, die Medieninhalte des IS übersetzen und im Netz streuen. Das ist nur sehr schwierig zu kontrollieren.

Lässt sich hier eine wirksame Gegenstrategie finden? Es gibt Beispiele von Hackergruppen, die IS-Seiten im Internet lahmlegen.

Das kann im ersten Moment funktionieren. Aber Terror im Internet ist wie eine Hydra, schlägt man einen Kopf ab, wächst ein anderer nach. In den USA gab es Versuche, eine narrative Gegenstrategie zu entwickeln. Darunter zum Beispiel das Deradikalisierungsprogramm "Think Again Turn Away" der US-Regierung, wofür unter anderem Videos produziert wurden. Das Ganze ist aber psychologisch so naiv, dass es wirkungslos ist und offenbar wieder eingestellt werden soll. Kürzlich gab es aber Treffen von Vertretern der US-Regierung, des Silicon Valley, der Werbebranche und Hollywood-Produktionsfirmen, die ausloten sollen, wie die Kommunikationsstrategien des Islamischen Staates konterkariert werden können. Ob damit das Kernpublikum - potenzielle Dschihadisten - erreicht wird, ist fraglich. Der harte Kern wird sich davon kaum beeinflussen lassen .

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