Medien:Was guckst du?

Deutschlands Fernsehsender müssen derzeit ohne Zuschauerquote auskommen - die Technik liefert keine Zahlen.

Von HANS HOFF

Am ersten Sonntag im Jahr hatte der "Tatort" eine tolle Quote. Knapp zehn Millionen Zuschauer waren dabei, als Kommissar Kopper in Ludwigshafen seinen letzten Fall löste, was einen Marktanteil von 27,4 Prozent bedeutet. Wie viele Menschen indes am zweiten Sonntag im Ersten zusahen, als Chefinspektor Moritz Eisner und Major Bibi Fellner in Wien ihren Fall lösten, weiß niemand. Es gibt seit vergangenem Freitag keine Quoten. Nicht fürs Erste, nicht für andere Sender. Im deutschen Fernsehen, in dem Zuschauerzahlen eine entscheidende Währung sind, herrscht sozusagen Ausnahmezustand.

Das liegt daran, dass TC Score derzeit nicht erreichbar ist. TC Score ist ein kleiner Kasten, der in 5000 Haushalten aufzeichnet, wer wann was und wie viel fernsieht. Jedes Familienmitglied drückt eine Taste, wenn es in die Glotze schauen will, und schon ist die Entscheidung Teil der Quote, die am nächsten Tag frühmorgens auf die Schreibtische der Fernsehmenschen geliefert wird. Denn die Messwerte der 5000 werden hochgerechnet auf alle 38,8 Millionen deutschen TV-Haushalte.

Zur Verwirrung vieler Beteiligter kommt da jetzt morgens nichts, denn die Leitungen zwischen der Arbeitsgemeinschaft Videoforschung (AGF) und TC Score sind gestört. Stattdessen gab es zuerst die Mitteilung der AGF, dass Anfang der Woche wieder alles normal läuft. Doch auch am Montag gab es keine Zahlen, nur die Meldung, dass frühestens Ende der Woche wieder mit Quoten zu rechnen sei. Man bemühe sich nach Kräften, hieß es, aber die Störungen seien doch schwerer zu beheben als angenommen. Allerdings müsse sich niemand sorgen, denn die Daten seien im TC Score gespeichert und würden später ausgelesen.

Viele Fernsehmenschen hätten natürlich gerne Freunde mit einem TC Score, denn schon wenige Willige könnten damit eine Quote rasch in die Höhe treiben. Zum Leidwesen der Fernsehmenschen wird aber streng geheim gehalten, wer einen TC Score daheim hat. Die Wartung des Geräts ist also ein relativ exklusiver Job. Testhaushalte werden nach statistischen Regeln "rekrutiert", wie es im AGF-Jargon heißt. Sie sollen ein repräsentatives Bild geben. In Bayern stehen derzeit 621 Geräte, in NRW 914 und in Berlin 200.

Kritik an der Aussagekraft der Quoten wird immer wieder mal laut. Sie kommt allerdings kaum je von den Gesellschaftern der AGF, zu denen alle großen Sender gehören. Die AGF verweist auf vielfältige Gegenchecks, man gleiche Ergebnisse etwa mit Telefonbefragungen am Markt ab.

Einen Quotenausfall in dieser Größenordnung hat es seit mehr als 20 Jahren nicht gegeben, weshalb nicht nur die werbefinanzierten Privatsender auf Entzug sind - an den Zuschauerzahlen bemessen sich die Werbepreise. Auch bei ARD und ZDF ist man süchtig nach Quote. Intendanten sprechen dort zwar davon, dass Qualität immer Vorrang habe, aber je weiter unten in den Hierarchieebenen man sich umhört, desto deutlicher wird, dass der Erfolg der Arbeit inzwischen fast ausschließlich in Zahlen gemessen wird.

Sollten die "Tatort"-Quoten jedenfalls weiter geheim bleiben, müssten die Wiener Ermittler wohl im Auslandseinsatz selbst Befragungen durchführen. Chefinspektor Moritz Eisner und Major Bibi Fellner, übernehmen Sie.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: