Süddeutsche Zeitung

Fall Shirley Sherrod:Obamas Angst vor rechten Meinungsmachern

Weil eine schwarze Beamtin weiße Farmer benachteiligt haben soll, lässt das Weiße Haus sie feuern. Der Fall zeigt Obamas Angst vor rechten Medien - auch wenn sie Lügen verbreiten.

Reymer Klüver, Washington

Der Fall ist ein Beispiel für die Macht rechter Meinungsmacher in den USA und die Angst der Obama-Regierung, sich ihren Zorn zuzuziehen. Ein Lehrstück darüber, wie vorschnell in der Medienkultur Amerikas geurteilt wird und wie wenig Fakten zählen.

Und nicht zuletzt ist der Fall Shirley Sherrod ein Beispiel dafür, wie tief rassistische Vorurteile das Land noch spalten, selbst nun, da zum ersten Mal ein schwarzer Präsident regiert. Alles hätte grotesk komische Züge, wäre nicht einer Frau, die ihr Leben lang unter Rassismus gelitten hat, erneut enormes Unrecht geschehen.

Videobeweis für den Rassismus

Die Affäre begann damit, dass der rechte Blogger Andrew Breitbart, der sich darauf verlegt hat, vorgebliche Übergriffe der Linken in Amerika bloßzustellen, am Montag eine gut zweiminütige Aufnahme Sherrods auf seine Website stellte - als "Videobeweis für den Rassismus einer Bundesangestellten". Darin ist Sherrod bei einer Veranstaltung der schwarzen Bürgerrechtsvereinigung NAACP zu sehen. In dem Ausschnitt erzählt Sherrod, eine Schwarze, dass sie einem weißen Farmer Zuschüsse verweigert habe, weil er weiß war. Die 62-Jährige ist im US-Landwirtschaftsministerium für ländliche Entwicklung im Bundesstaat Georgia zuständig.

Noch am selben Abend bringt der rechte Kabelsender Fox News das Video. Moderator Bill O'Reilly sagt: "Wow, das ist einfach unmöglich. Die Bundesregierung kann nicht zulassen, dass die Hautfarbe über Hilfe entscheidet." Sherrod müsse gehen. Kommentatorin Laura Ingraham, ein Star unter den rechten Meinungsmachern, sagt, das sei ein weiteres Beispiel, dass Linke mit "einer radikalen Agenda" das Sagen in der Obama-Administration hätten.

Druck aus dem Weißen Haus

Doch noch ehe die Rücktrittsforderung an Sherrod über den Bildschirm gegangen ist, hat das Landwirtschaftsministerium, informiert über den anstehenden Fox-Bericht, bereits gehandelt und Sherrod gefeuert - ihrer Darstellung nach auf Druck des Weißen Hauses. Auch die NAACP distanzierte sich von ihr.

Tatsächlich hatte Sherrod in ihrer Rede vor der NAACP erzählt, wie sie vor 24 Jahren als Angestellte einer Selbsthilfekooperative für schwarze Farmer einem weißen Farmer Hilfe verweigern wollte. Dann aber habe sie ihre Vorurteile erkannt. "Es gibt keine Unterschiede zwischen uns", sagte sie in ihrer 43-minütigen Rede. Sie hatte dem Farmer geholfen, er konnte seinen Hof mit Hilfe der Zuschüsse retten. Doch diese Pointe war in dem Videoausschnitt nicht zu sehen.

Am Dienstagmorgen indes schauten sie sich beim NAACP die ganze Rede an, sahen, wie sehr Sherrod Unrecht geschah. Jetzt stellte die NAACP das gesamte Video auf ihre Website. Am Abend rief das Weiße Haus erneut im Landwirtschaftsministerium an. Noch in der Nacht veröffentlichte Landwirtschaftsminister Tom Vilsack eine persönliche Entschuldigung und kündigte an, Sherrod einen neuen Job im Ministerium anbieten zu wollen.

Am Mittwoch entschuldigte sich auch Präsidentensprecher Robert Gibbs, im Namen seines Bosses: "Mitglieder dieser Regierung, Medienleute und Menschen auf beiden Seiten des politischen Spektrums haben Urteile und Entscheidungen getroffen, ohne die Fakten in vollem Umfang zu kennen."

Das dürfte eine akkurate Beschreibung der Lage sein. Paul Levinson, Professor für Journalismus an der Fordham-Universität in New York, konstatiert das Offenkundige: Die Obama-Regierung hat Angst vor den Attacken rechter Medien. "Sie haben schlicht Panik bekommen", sagt Levinson. "Sie geben den Medien viel mehr Macht, als sie haben sollten."

Angst vor der Medien-Maschine

Und während in Washington schon Gerüchte kursieren, dass die Affäre Landwirtschaftsminister Vilsack das Amt kosten könnte, berichtet Fox News am Mittwoch, dass die "Rassen-Geschichte" einen "merkwürdigen Dreh" genommen habe. Als hätten sie die ganze Aufregung nicht dadurch mit verursacht, dass sie nicht recherchiert haben.

Shirley Sherrod ging derweil zur Selbstverteidigung über. Geduldig und eloquent ließ sie sich am Mittwoch den ganzen Tag über immer wieder vom Fox-Konkurrenten CNN interviewen. Vor laufender Kamera nahm sie die Entschuldigung von Gibbs an und sagte: "Die Angst vor der Medienmaschine, die die Rechten aufgebaut haben, hat das Ganze angetrieben." Über das Angebot, in die Bürgerrechtsabteilung des Landwirtschaftsministerium zu wechseln, will sie erst noch nachdenken. Am Donnerstag rief dann sogar der Präsident persönlich an, um sie zu überreden.

Sherrod wuchs auf einer Farm in Georgia auf. 1965 schloss sie sich der Bürgerrechtsbewegung an und gründete eine Kooperative schwarzer Farmer, seinerzeit die größte in den USA. Nach 15 Jahre ging sie in Konkurs, weil das Landwirtschaftsministerium ihr Zuschüsse verweigert hatte. Jahre später erhielt sie 13 Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen, weil ihr das Geld zugestanden hätte, aber wegen der Hautfarbe der Farmer nicht gewährt wurde.

Es war nicht das erste Mal, dass Sherrod der Rassismus so existenziell getroffen hatte: Als sie noch an der Highschool war, erschoss ein Weißer ihren Vater hinterrücks. Die Tat wurde nie gesühnt.

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SZ vom 23.07.2010/ebc
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