Süddeutsche Zeitung

Medien in Mogadischu:"Ich habe die Schüsse gehört"

Todesangst gehört zum Alltag der somalischen Journalisten in Mogadischu - auch nach dem Abzug der Al-Shabaab. Etliche Reporter wurden getötet, viele sind vor den Islamisten bereits aus dem Land geflüchtet. Doch einige bleiben hartnäckig auf Sendung.

Tim Neshitov

Die Schüsse, die man immer noch gelegentlich hört in Mogadischu, erwähnt Abdiaziz Muhammed Dirie erst später. Zuerst erzählt der Nachrichtenchef von Radio Simba von den kleinen Dingen des Alltags, die sein Leben zuletzt einfacher gemacht haben.

Er berichtet von dem öffentlichen Bus, mit dem er nun zur Arbeit kommen kann, in einer halben Stunde für umgerechnet einen halben US-Dollar. "Im Frühjahr habe ich noch drei Stunden gebraucht und mindestens zehn Dollar am Tag ausgegeben."

Im Frühjahr, da kontrollierte die islamistische Shabaab-Miliz noch weite Teile der somalischen Hauptstadt und kämpfte verbissen gegen die Friedenstruppen der Afrikanischen Union (AU) und die Soldaten der Übergangsregierung. Anfang August zog sich al-Shabaab aus Mogadischu zurück.

Auch die Internetverbindungen seien seitdem zuverlässiger geworden, sagt Dirie, was für den Redakteur nicht zuletzt deswegen wichtig ist, weil er derzeit ein Fernstudium an der London School of Journalism absolviert.

Dirie ist 30 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und seiner neugeborenen Tochter - "sie ist heute 32 Tage alt geworden!" - in einem südlichen Vorort von Mogadischu. Diese Gegend wird noch immer von al-Shabaab kontrolliert. Der Journalist will bald ins Stadtzentrum umziehen, in die Nähe des Bakara-Marktes, des wichtigsten Umschlagplatzes der zerstörten Hafenstadt. Hier ist auch die Redaktion von Radio Simba untergebracht. "Dort sind wir nah dran am Leben", erklärt Dirie.

Der Bakara-Markt war jahrelang eine wichtige Finanzquelle der Islamisten, die von den Händlern ein üppiges "Schutzgeld" verlangten. Al-Shabaab herrschte über die Gegend, in denen sich auch die Redaktionen vieler Medien niedergelassen haben, mit brutaler Gewalt.

Im Juni 2009 erschossen die Milizionäre Muhtar Muhammed Hirabe, den Direktor von Shabelle, dem wichtigsten unabhängigen Radiosender in Somalia. "Ich hörte damals die Schüsse", sagt Dirie. "Er wurde in der Nähe unserer Redaktion niedergestreckt. Damals dachte ich zum ersten Mal ans Auswandern."

Wie schwierig die Arbeit der somalischen Journalisten im nicht enden wollenden Bürgerkrieg ist, belegt das Schicksal derjenigen, die ermordet wurden oder ausgewandert sind. Seit zwei Jahren kümmert sich das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) speziell um die Kollegen in Ostafrika, unterstützt unter anderen von den Reportern ohne Grenzen, dem Rory Peck Trust bis hin zu dem deutschen Verein Journalisten Helfen Journalisten.

Das Schwerpunktland für die Helfer ist Somalia, aber auch Äthiopien und Eritrea stehen ganz oben auf der Liste.

Seit Jahresbeginn hat das CPJ 13 Journalisten aus Somalia, zwölf aus Äthiopien und acht aus Eritrea herausgeholfen. "Wir unterstützen die Kollegen beim Umzug und den Asylanträgen, finanzieren die medizinische Behandlung, machen Lobbyarbeit bei den Behörden der beiden wichtigsten Aufnahmeländer Kenia und Uganda", sagt Maria Salazar-Ferro vom CPJ.

Einer, dem die Flucht gelang, ist Ahmed Omar Hashi, ehemaliger Redakteur bei Radio Shabelle. Er stand an der Seite seines Chefs, als Muhtar Muhammed Hirabe auf dem Bakara-Markt erschossen wurde. Hashi, heute 43 Jahre alt, überlebte das Attentat schwer verletzt. Die Shabaab-Miliz versuchte ihn wenige Tage später im Krankenhaus zu ermorden. Heute lebt er mit einem Teil seiner Familie in Ugandas Hauptstadt Kampala, wo sie eine Unterkunft mit anderen Exiljournalisten aus Somalia teilen. Drei seiner Kinder sind in Mogadischu zurückgeblieben.

Aber seit dem Abzug von al-Shabaab haben viele Journalisten in Mogadischu wieder Hoffnung. Muhammed Dirie, der leitende Redakteur bei Simba, denkt heute nicht mehr ans Auswandern - auch wenn die al-Shabaab jetzt offenbar eine neue Strategie in der somalischen Hauptstadt verfolgt: Selbstmordattentate. Bei einem solchen Anschlag starben Anfang Oktober mehr als 100 Menschen.

"Die Zukunft hier ist immer noch ungewiss. Aber wir können nun einigermaßen in Ruhe arbeiten, obwohl in der Stadt immer noch geschossen wird." Dirie bekommt keine Drohanrufe mehr, nun plant er sogar wieder Musik ins Programm aufzunehmen, etwas, was die Islamisten für eine Sünde halten.

"Das Schlimmste war in den letzten Jahren die Selbstzensur", sagt Dirie. Was er meint, ist, dass die Journalisten dem Druck der Islamisten nachgegeben haben. "Sie riefen an und sagten: Ihr sollt die Friedenstruppen der Afrikanischen Union 'Kreuzzügler' nennen und die Übergangsregierung 'Doppelagenten'. Die Islamisten haben sich wie Chefredakteure aufgeführt, und oft genug haben wir die Anweisungen befolgt."

Doch Todesgefahr droht im Chaos des Bürgerkriegs nicht nur von den Islamisten. Kurz vor dem Abzug der Shabaab-Miliz wurde Farah Hassan Sahal, ein Mitarbeiter von Dirie, bei einem Feuergefecht zwischen den Islamisten und der Friedenstruppe der Afrikanischen Union (Amisom) auf offener Straße durch drei Schüsse getötet.

Die Simba-Redaktion ist überzeugt, dass die Kugeln von Soldaten der Amisom abgefeuert wurden. Die Schüsse, so hatte Sahal vor seinem Tod noch gesagt, waren auf deren Seite gefallen. Dass Amisom jemals eine Untersuchung einleitet, glaubt Dirie nicht.

Anfang September hatten Friedenssoldaten der AU einen weiteren Journalisten erschossen - Noramfaizul Mohd Nor, einen Kameramann aus Malaysia. Den Soldaten aus Burundi immerhin soll nun der Prozess gemacht werden.

"Wir sind froh, dass deutsche Journalisten die Witwe von Sahal mit Geld unterstützen", sagt Dirie. "Und wir haben nun eine Regel: Wir töten lieber eine Geschichte, als dass einer von uns von jemandem getötet wird."

Radio ist neben dem Internet das wichtigste Medium in Somalia. Die Redaktion von Shabelle ist mittlerweile vom Bakara-Markt weggezogen, aber das Radio bleibt auf Sendung und konkurriert mit Simba und einem Dutzend anderer Stationen, darunter zwei Sender der al-Shabaab.

Die Printredaktionen sind in den zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg so gut wie ausgestorben. Vor dem Krieg erschienen in Mogadischu zwei Dutzend Blätter, heute gibt es nur eine unabhängige Tageszeitung und zwei Monatspublikationen der Regierung. Ein Fernsehgerät können sich die wenigsten Somalis leisten.

Das Radio lebt von Werbung. Trotz des Bürgerkriegs sind erstaunlich viele Unternehmen am Leben geblieben oder sogar erst in den Ruinen entstanden. Die meisten Anzeigen kommen von drei Telekomgesellschaften und von Geldtransfer-Unternehmen. Exilsomalier überweisen jährlich Milliarden Dollar in ihr Heimatland.

Tom Rhodes, Ostafrika-Berater des CPJ, der im Nachbarland Kenia lebt, gibt keine Entwarnung: "Die Arbeitsbedingungen für Journalisten in Mogadischu scheinen sich zwar zu verbessern. In den letzten Wochen haben wir keine Mordfälle mehr berichtet. Aber es gibt viele Kollegen im Exil, die sich noch nicht trauen, zurückzukehren."

Die Eltern von Abdiaziz Muhammed Dirie, dem Nachrichtenchef von Simba, haben ihn früher immer gedrängt, was anderes im Leben zu machen. "Sie sagten, werde doch Unternehmer oder Englischlehrer, egal. Ich bin froh, dass ich Journalist geblieben bin."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1158643
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/odg/mcs
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.