Medien:Der Grabenkrieg ist zu Ende

Presse brexit London

Radikale Töne: Britische Medien berichteten oft emotional über den Brexit.

(Foto: Cathrin Kahlweit)

Viele britische Blätter vor allem der Boulevardpresse schrieben den Brexit geradezu herbei. Nun, da der Austritt tatsächlich kommt, klingen sie nachdenklicher.

Von Cathrin Kahlweit

Schon vor dem Referendum 2016 war die britische Medienlandschaft gespalten in Schwarz und Weiß - in or out. Viele Boulevardmedien hatten die Austrittsidee gefeiert, seriöse Tageszeitungen hatten heftig davor gewarnt. Vor allem das euphorische Ja der Yellow Press zur Austrittskampagne trug maßgeblich zum Siegeszug einer anfangs als Utopie belächelten Idee bei.

Am Tag nach dem Votum, das zur allgemeinen Überraschung mit 52 zu 48 Prozent für den Brexit ausging, war die Sache anders. Als stünde die Zeit still, spiegelte sich in allen Medien gleichermaßen der Schock wider, dass der Brexit nun Realität würde. Eine Studie des European Journalism Observatory belegt, dass austrittsbegeisterte Medien nach dem 23. Juni kurzzeitig einen "neutralen, pragmatischen Zugang" gewählt hätten, weil, so die Medienwissenschaftlerin Caroline Lees, "Häme und Schadenfreude unangemessen wirkten. Gefordert war Nüchternheit". Lees befragte etwa einen Redakteur des Daily Telegraph, damals wie heute ein Pro-Brexit-Blatt: "Wir waren für das Referendum, aber jetzt wollen wir beiden Seiten Raum geben. Das Resultat hat die Nation gespalten, jetzt muss man sie zusammenführen."

Das ging bekanntlich schief. Die Schockstarre währte nicht lange. In dem Maß, in dem sich die politischen Lager im Kampf um den richtigen Brexit zerlegten, teilten sich auch die Medien wieder in Pro und Contra auf. Vor allem die europaskeptische Seite wurde immer radikaler. Brexit-Gegner wurden als "Verräter" und "Volksfeinde" abgestempelt, Theresa Mays vorsichtiger Zugang in Kommentaren als "Unterwerfung unter die EU" gebrandmarkt.

Nun, Ende Januar, unmittelbar vor dem Austritt aus der EU, zeigt sich in den britischen Medien das gleiche Bild wie vor knapp vier Jahren. Eine gewisse Zurückhaltung, gepaart mit Skepsis, ist wieder da, die im Grabenkrieg der vergangenen Jahre fehlte. Die pompöse Rhetorik, der sich Premier Boris Johnson noch im Wahlkampf bediente, hat einer vorsichtigen Vorfreude Platz gemacht; Schadenfreude und Häme finden sich selten. Die Daily Mail etwa, ein Blatt der Brexiteers, überlässt einem Historiker, den sie im Vorspann als Remainer anpreist, zwei ganze Seiten. Der darf einerseits erklären, dass er bei den Bildern vom singenden Europaparlament am Donnerstag wehmütig wurde - und andererseits, warum der süße Traum von der Europäischen Union im Laufe von 47 Jahren dann eben doch "sauer" geworden sei.

Der Daily Express schreibt ebenfalls von einem "emotionalen Abschied" und zitiert Johnson, der von einem "Moment der Hoffnung" spreche. Remainer und Leaver müssten von nun an wieder "vertrauensvoll zusammenarbeiten". Manche Boulevardmedien ignorieren den großen Tag gleich ganz - und widmen sich lieber dem Coronavirus und überteuerten Infrastrukturprojekten. Brexit schön und gut, aber das Leben geht weiter.

Die große Sause und die großen Schlagzeilen werden noch kommen, zweifelsohne. Und man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass die Wochenendzeitungen voll sein werden von "We did it" oder "Finally free".

Und doch ist bemerkenswert, wie selbst der Premier den Ton locker hält und seinen Hang zu Pathos und Überschwang zügelt. In einem Video ist Johnson auf einem weißen Stühlchen mit einer weißen Tafel zu sehen, auf der Fragen stehen; die Antworten sind verklebt. Gut gelaunt, manchmal fast singend, reißt der Premierminister die Zettel weg und liest die Antworten vor. Politisch offenbar besonders relevant: "Wird der Brexit meine Ferien beeinflussen? Antwort: "Nein, ich wünsche Ihnen einen großartigen Urlaub."

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