Süddeutsche Zeitung

Mediation statt Rechtsstreit:Abschied vom Kampf bis zur letzten Instanz

Das neue Gesetz zur gütlichen Streit-Einigung kommt unscheinbar daher. Doch es ist ein Jahrhundertgesetz, das die Rechtskultur in Deutschland völlig verändern könnte. Es fördert mündige Bürger und zufriedene Menschen - statt Sieger und Verlierer zu schaffen.

Heribert Prantl

Im Leben des Rechts gibt es, wie im Leben des Menschen, Tage, die fast alles verändern - Schicksalstage. Der 1. Januar 1900 war so ein Tag; da ist das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft getreten. Oder der 23. Mai 1949, der Tag des Grundgesetzes. Der 1. Juli 1958; das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Oder der 1. Juli 1977, an dem das neue Scheidungsrecht wirksam wurde und an die Stelle des Schuldprinzips das Zerrüttungsprinzip rückte.

Diesen Tagen und diesen Gesetzen hat man das Bedeutende angesehen, Aufmerksamkeit und Aufregung waren groß. Dem "Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung", das nun in Kraft tritt, sieht man diese Bedeutung nicht an.

Der Name ist sperrig, er klingt nach Rechtskram. Doch dieser vermeintliche Kram hat das Zeug, die Streitkultur in Deutschland völlig zu verändern: Zum ersten Mal gibt es ein umfassendes Gesetz, das regelt, wie Streitigkeiten ohne Gerichtsprozess beigelegt werden. Das neue Mediationsgesetz gibt den Konfliktparteien die Freiheit, auch ein vom gesetzlichen Recht abweichendes Ergebnis für sich zu wählen. Das neue Gesetz will Abschied nehmen vom Recht als Kampf, vom Kampf bis zur letzten Instanz.

Die neuen Regelungen werden, das Strafrecht ausgenommen, in alle Prozessordnungen eingearbeitet. Eine Mediation soll möglichst jedem Gerichtsverfahren vorausgehen. Der Mediator, der Vermittler, richtet nicht; er vermittelt. Unter seiner Leitung sollen die Konfliktparteien freiwillig eine ausgleichende Lösung erarbeiten. Das klingt nach einem Traum, nach einer schönen Vision.

"Rechtsfrieden" mit neuer Bedeutung

Aber die Praxis zeigt: Es funktioniert, jedenfalls sehr oft. Seit Jahren wird etwa an Familiengerichten oder Verwaltungsgerichten mit solchen Modellen experimentiert; Rechtsanwälte haben sich (ein Geschäftsmodell ist das ja auch) zu Mediatoren ausbilden lassen. Und der Zugang zum streitigen Prozess bleibt natürlich offen - das ist der erforderliche Hintergrund für wirksame Mediation.

Das Mediationsgesetz brauchte erst selbst eine Mediation. Bundestag und Bundesrat stritten heftig drüber, ob eine Mediation auch an Gerichten stattfinden darf. Der Vermittlungsausschuss hat den Streit gelöst: Sie darf. Sie darf dort nur nicht so heißen. Bei Gericht heißt der Mediator "Güterichter". Und er ist ganz billig, womöglich umsonst. Das können die Länder selbst entscheiden.

Wenn Mediation funktioniert, regeln die Bürger ihre Interessen selbst. Aus einer solchen Mediation kommt man nicht als Sieger oder Verlierer heraus, sondern als zufriedener Mensch. Das Wort "Rechtsfrieden" erhält so neue Bedeutung. Es meint nicht einfach nur, dass die Sache nun zu Ende und rechtskräftig ist.

Das Mediationsgesetz führt zu einer Bemündigung des Bürgers. Im dornenreichen Paragrafenwald gibt es nur selten Blumen; das Mediationsgesetz ist eine Orchidee. Sie sollte bald heimisch werden in der Flora des deutschen Rechts.

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SZ vom 02.07.2012/gal
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