Mediation an deutschen Gerichten:Das Recht war ein Kampf

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Umbruch im deutschen Recht: Viele Konflikte sollen künftig nicht mehr durch Prozess und Urteil, sondern durch einfache Schlichtung beigelegt werden. Das wird die Streitkultur verändern.

Heribert Prantl

Das Ziel des Rechts ist der Friede, das Mittel dazu der Kampf. Mit diesem markigen Satz begann der Starjurist Rudolf von Ihering im Jahr 1872 seinen berühmten Vortrag "Der Kampf ums Recht". Sein sodann gedrucktes Manuskript ist eines der erfolgreichsten juristischen Bücher, die es je in Deutschland gab - zwölf Auflagen in zwei Jahren, übersetzt in 26 Sprachen!

Der Richterstuhl soll häufiger leer bleiben: Die Bundesregierung will die Mediation fördern, künftig muss in jeder Klageschrift angegeben werden, ob eine Mediation vorausgegangen ist. (Foto: ag.ap)

Das Buch war eine Vorlage für die deutsche Zivilprozessordnung von 1877/79, die in einigen Grundzügen bis heute gilt; sie stellte zum einen die Kampfmittel zur Verfügung und zum anderen zwei volle Tatsacheninstanzen. Exakt so hatte es Professor Ihering gewollt: "Das Preisgeben eines verletzten Rechts ist ein Akt der Feigheit", hatte er gesagt, und der Kampf ums das Recht sei "ein Akt der ethischen Selbsterhaltung". Ein solcher Paragraphen-Militarismus hat nun fast eineinhalb Jahrhunderte lang das deutsche Rechtswesen geprägt. Wer den Prozess vermied, so konstatiert es Hannes Unberath, Professor für Zivilprozessrecht in Bayreuth, galt "als ein vom Schlachtfeld fliehender Feigling".

An diesem Mittwoch, also fast eineinhalb Jahrhunderte nach Ihering, wird im Bundeskabinett die Gegenschrift verabschiedet. Sie heißt: "Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung." Der Gesetzgeber soll nun ganz offiziell den Kampf ums Recht weitgehend ersetzen durch Friedensschlüsse der Kontrahenten.

Künftig muss bereits in jeder Klageschrift angegeben werden, ob eine Mediation vorausgegangen ist. Das ist zwar eine bloße Formvorschrift - so soll aber das Bewusstsein für außergerichtliche Konfliktlösungen in der Anwaltschaft und bei den Bürgern gestärkt werden. Die Richter werden künftig in jedem Fall prüfen, ob sie den streitenden Parteien ein solches Verfahren vorschlagen. Es ist schnell und kostengünstig; es verletzt niemanden, und es setzt niemanden zurück.

Die "Mediation", die im Mittelpunkt des neuen Gesetzes steht, hilft den streitenden Parteien, selbst eine Lösung für den Konflikt zu finden. Der Mediator (es kann ein Richter sein, ein Anwalt oder ein sonstiger Experte) richtet nicht, er urteilt nicht zu Gunsten des einen und zu Lasten des anderen, er macht, anders als ein "Schlichter", auch keine eigenen Vorschläge; er "fördert die Kommunikation der Parteien", so steht es im geplanten Gesetz, und "ist allen Parteien gleichermaßen verpflichtet". Unter seiner Leitung sollen die Parteien freiwillig eine ausgleichende Lösung erarbeiten. Mit dem Verhandlungsergebnis lässt sich dann auch juristisch etwas anfangen: Es kann, wie ein Urteil, vom Gericht oder Notar "für vollstreckbar erklärt" werden. Man kann also damit zum Gerichtsvollzieher gehen.

Das Vermittler-Geschäft

Mediation ist kein ganz neues Thema in der Justiz. Seit zehn, fünfzehn Jahren steht es auf der Tagesordnung vieler Rechtskonferenzen. Anwälte haben sich auf Mediation spezialisiert und darin einen neuen Geschäftszweig entdeckt; die Zahl der Advokaten hat sich nämlich in den vergangenen 25 Jahren verdreifacht; Gerichte haben Mediationskammern eingerichtet, die Landesjustizverwaltungen experimentieren herum mit Mediation und anderen Formen alternativer Konfliktbewältigung, mit Schlichtungs- und Schiedsverfahren. Das Mediationsgesetz will diesem Bemühungen einen rechtlichen Rahmen geben; in alle Prozessordnungen, das Strafrecht ausgenommen, werden die neuen Regeln eingearbeitet.

Das Gesetz konzentriert sich auf die Mediation, also auf die mildeste Form außergerichtlicher Konfliktlösung, bei der es keine Unterwerfung der Streitparteien unter irgendwelche Schiedssprüche gibt. Jede Partei kann jederzeit bis zum Schluss die Gespräche abbrechen und zum "richtigen Gericht" ziehen - mit dem Risiko, dass es dann lange dauert und man mit dem späten Ergebnis dort auch nicht zufrieden ist. Bei den Zivilgerichten werden jährlich 2,5 Millionen Klagen eingereicht, dazu kommen noch die 1,2 Millionen Klagen, die bei Arbeits- und Sozialgerichten, Verwaltungs- und Finanzgerichten anhängig gemacht werden.

Das Mediationsgesetz ist der Versuch, einen juristischen Paradigmenwechsel durchzusetzen, wie ihn das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 gefordert hat: "Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung."

Der Anstoß, diese Einsicht per Gesetz zu befördern, kam allerdings von außen, aus Brüssel: Die Mediationsrichtlinie der EU muss bis zum 21. Mai in deutsches Recht umgesetzt werden. Mit Heiner Geißlers Schlichtung zu Stuttgart 21 sind aber die Begriffe "Mediation" und "Mediator" fast zu einem deutschen Wort geworden - obwohl die Geißlersche Schlichtung gar keine echte Mediation war: Bei der echten Mediation ist der Mediator nämlich nicht nur ein neutraler Dritter, er hat auch keinerlei eigene Entscheidungsmacht; und es gibt dort am Ende keinen Schiedsspruch, sondern eine gemeinsam ausgehandelte Lösung - sozusagen einen Friedensschluss.

Der weltweisende Venezianer

Der erste Mediator der Neuzeit war einer, der den ganz großen Frieden organisiert hat: Der Diplomat Alvise Contarini, ein "weltweiser Venezianer", wie ihn Golo Mann nannte, hat mit mühseligsten Verhandlungen in mehr als 800 Sitzungen zu Münster den Dreißigjährigen Krieg beendet. Der Westfälische Friede von 1648 gilt als sein Werk. Contarini war ein gelernter, ein ausgefuchster Diplomat. Was ein Mediator heute gelernt haben muss, ist auch zukünftig nicht gesetzlich geregelt. Bei einer gerichtsinternen Mediation ist die Sache klar: Da sind es Richter und Anwälte, die mit den streitenden Parteien reden; in der juristischen Ausbildung kommt die Mediation bisher freilich nur am Rande vor.

Welche Qualifikation die Mediatoren außerhalb des Gerichts haben müssen, ist noch unklar. Einige Länder und Verbände fordern die gesetzliche Normierung von Mindeststandards der Ausbildung sowie eine staatliche Zulassung oder ein Gütesiegel. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will damit zuwarten: Die Mediation sei "noch ein stark in Entwicklung begriffenes Verfahren". Aber das Ziel ist klar: "Die Mediation soll die Rechtskultur in Deutschland positiv verändern", sagt sie. Das ist wohl das ambitionierteste Ziel dieser Bundesregierung.

© SZ vom 12.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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