Süddeutsche Zeitung

Mecklenburg-Vorpommern:Die Mechaniker von Schwerin

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SPD und CDU regieren das Land vernünftig - aber doch irgendwie an den Leuten vorbei. Keine Neuverschuldung, die Wirtschaft wächst - diese Erfolge klingen so technisch. Also sind es die Populisten, die den Zulauf bekommen.

Von Thomas Hahn

Auch im Wahlkampf von Mecklenburg-Vorpommern sind die wichtigsten Themen Migration und innere Sicherheit. Die AfD erreicht mit ihren beharrlichen Kampagnen gegen "Asyl-Chaos" und islamistische Gefahr beachtliche Umfragewerte. Und die Spitzenkandidaten der Regierungsparteien ziehen mit: Der SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering hat kürzlich die Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik im vergangenen Jahr gescholten, wie das kaum ein CSU-Bayer eindringlicher tun könnte ("Frau Merkel hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Flüchtlingsfrage zu einer starken Polarisierung der Bevölkerung geführt hat"). Sellerings CDU-Kontrahent Lorenz Caffier wiederum, der derzeitige Innenminister, will unter anderem mit mehr Polizei Antworten geben auf eine "Verunsicherung", die er bei den Menschen im Land festgestellt hat.

An Sicherheit und Migration kommt man tatsächlich kaum vorbei, wenn man dieser Tage den tiefen deutschen Nordosten bereist. Aber warum eigentlich?

Mecklenburg-Vorpommern hat einen Ausländeranteil von drei Prozent; weniger Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft gibt es nur noch in Thüringen. Ein echtes "Asyl-Chaos" hat es hier nicht einmal auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszustroms gegeben, weil sich Behörden und Ehrenamtliche mit Einsatz und zweckdienlichen Lösungen um die Neuen kümmerten. Jetzt gibt es erst recht kein Chaos, weil kaum mehr ein Flüchtling durch die EU-Grenzen kommt. Und die Kriminalitätsstatistik weist rückläufige Zahlen auf. Klar, Sicherheit und Integration darf der politische Betrieb nie vernachlässigen. Aber eigentlich müsste das Land vor der Wahl am 4. September etwas anderes viel mehr beschäftigen.

SPD und CDU regieren vernünftig. Aber doch an den Leuten vorbei

Dieser Wahlkampf um den Regierungsauftrag in Schwerin zeigt, wie sich Ängste in Köpfen von Menschen verfangen und selbst dann nicht weggehen, wenn diese Ängste mit ihrer Lebensrealität nur noch wenig zu tun haben. Mecklenburg-Vorpommern hat 1,6 Millionen Einwohner auf einer Fläche, die fast so groß ist wie Belgien. Es ist das am dünnsten besiedelte Bundesland. Die Terrorgefahr ist hier schon mangels Masse geringer als in Berlin oder München. Stattdessen prägt der demografische Wandel das Bundesland. Wie schafft man Perspektiven für eine alternde Landbevölkerung? Wie füllt man die Leere infolge von Landflucht und Sterberaten? Wie kann man den Frust jener Menschen abbauen, die sich in ihren Dörfern abgehängt fühlen vom Rest der Gesellschaft?

Spannende Fragen. Schwierige Fragen. Zu schwierig für Populisten. Aber auch die rot-schwarze Landesregierung hatte in den vergangenen Jahren keine echte Antwort. Sie steht für einen Kurs der ökonomischen Vernunft, verschlankt Strukturen, legt Theater oder Gerichte zusammen. Mit mechanischer Präzision trimmt sie das Land auf Effizienz und jubelt: Keine Neuverschuldung, die Wirtschaft wächst. Toll.

Der Erfolg hat einen Preis. Viele Leute haben das Gefühl, die Entwicklung fege über sie hinweg, die Politik nehme ihnen was weg. In der DDR wurden sie daran gewöhnt, nach der Pfeife des Staates zu tanzen. Jetzt sollen sie sich in der Wettbewerbsgesellschaft durchsetzen. Das kann nicht jeder, und wer scheitert, klammert sich an die Politiker mit den einfachen Wahrheiten. Die wiederum haben wenig Interesse an nachhaltigen Lösungen, weil die Unzufriedenen die Stimmen bringen.

Mecklenburg-Vorpommern müsste zur Modellregion werden für einen starken ländlichen Raum mit Konzepten für regionale Wertschöpfung, mit Dörfer-Netzwerken und einem Nahverkehr, der die weiten Wege überbrückt. Andernfalls bleibt seine herrliche Landschaft ein Spielfeld für Populisten, die Themen von gestern setzen.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2016
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