Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern:Das leere Land

Lesezeit: 3 min

Heute wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Ein Thema hat den Wahlkampf dominiert: der demographische Wandel. Konkret heißt das: Immer mehr junge Menschen wandern ab, nur die Alten bleiben zurück, Dorfgemeinschaften funktionieren nicht mehr. In manchen Gegenden Mecklenburg-Vorpommerns ist die Bevölkerungsdichte so gering wie in Simbabwe. Die Politiker versuchen gegenzusteuern und den Bevölkerungsschwund "offensiv zu gestalten". Nur: Wie?

Ralf Wiegand

Vielleicht wird das Landleben in Mecklenburg-Vorpommern irgendwann einmal so aussehen: Montags kommt der mobile Metzger-Service zum Dorfbrunnen. Dienstags rollt der Bäckerwagen an, schon in der Früh um sechs Uhr, damit es wenigstens einmal in der Woche frische Brötchen gibt. Mittwochs hält fahrplanmäßig der Sparkassenbus in der Hauptstraße, eine komplett ausgestattete Geschäftsstelle auf vier Rädern. Einmal im Monat, immer an einem Donnerstag, bietet das rollende Amt einen Ortstermin. Der Beamte aus der nächsten Stadt hat alle wichtigen Formulare an Bord seines umgebauten Kleintransporters. Freitags dann der Höhepunkt der Woche: der sausende Supermarkt, von der Marmelade bis zur Erwachsenenwindel ist alles im Angebot. Inklusive Lottoannahmestelle.

Der Ostseestrand in Warnemünde. Manche Gegenden in Mecklenburg-Vorpommern sind so dünn besiedelt, dass nur 30 Menschen auf einen Quadratkilometer kommen, so viel wie durchschnittlich in Simbabwe. (Foto: dpa)

Horrorszenario oder Zukunftsvision? Keine Partei ist im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern ohne das Stichwort "demographischer Wandel" ausgekommen. Dem Bundesland geht es dabei im Prinzip nicht anders als dem Rest der Bundesrepublik: Die Menschen werden weniger, und sie werden älter. Allerdings vollzieht sich die Entwicklung im Nordosten "im Zeitraffer", stellte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) schon im März fest, als er den Strategiebericht der Landesregierung zu diesem Thema vorstellte. Durch den besonders zahlenmäßig starken Wegzug junger Menschen seit der Wende ist der demographische Wandel in Mecklenburg-Vorpommern dem Rest des Landes um 30 Jahre voraus.

"Die Formel lautet: viel weniger, viel älter, viel weiter", sagt Karl-Otto Kreer, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. Mecklenburg-Vorpommern ist mit durchschnittlich 71 Einwohnern pro Quadratkilometer schon heute das am dünnsten besiedelte Bundesland. Flächenmäßig größer als Hessen, hat es weniger als ein Drittel der Einwohner. In manchen Gegenden leben weniger als 30 Menschen pro Quadratkilometer - das entspricht der Bevölkerungsdichte Simbabwes. In Zukunft gehe es deshalb darum, glaubt Kreer, "ländliche Gebiete überhaupt lebensfähig zu erhalten".

Um das zu erreichen, deuten die großen Parteien den rasanten Bevölkerungsschwund und die Überalterung zur Chance um. "Wir müssen die Folgen des demographischen Wandels offensiv gestalten und Nutzen daraus ziehen", sagt Ministerpräsident Sellering. Nur: wie?

Nur noch sechs statt zwölf Landkreise

Gute Löhne und qualifizierte Facharbeiter nennt die SPD an erster Stelle. Eine Aufgabe der Politik wird es aber auch sein, die Verwaltung der schrumpfenden Bevölkerung anzupassen, ohne ganze Landstriche sich selbst zu überlassen. Schon die Kreisgebietsreform, die mit der Landtagswahl an diesem Sonntag in Kraft tritt und nach der von ursprünglich zwölf noch sechs Landkreise übrigbleiben, ist eine Reaktion auf den demographischen Wandel und das wichtigste Projekt, das Innenminister Lorenz Caffier (CDU) zu verantworten hatte. Man habe in der Wendezeit den Fehler gemacht, sagt Caffier, die Verwaltungsmodelle des Westens "einfach zu kopieren". Nun müsse mühselig korrigiert werden. Denn die Zahl der Beamten sinke nicht mit der Zahl der Bevölkerung.

Caffier, Herausforderer von Sellering bei der Wahl am Sonntag, hat die Reform Sympathien gekostet: Schließlich bedeuten die neuen Großkreise, von denen fünf jeweils mehr Fläche haben werden als das Saarland, weitere Wege für die Bevölkerung. Und Caffier fürchtet, dass auch das politische Ehrenamt leiden wird, wenn diejenigen, für die Politik gemacht wird, sich über Hunderte Kilometer verteilen. Caffier will deshalb das Ehrenamt noch mehr fördern.

Wahl in Mecklenburg-Vorpommern
:Von Blockflöten und Uhrmachern

Ein Wessi im Osten, ein linker Ex-Minister und ein Frontmann, der in großer Personalnot für seine Partei einspringt: ein interaktiver Überblick über die Spitzenkandidaten der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern.

Von Anja Treiber

Gerade auf dem Land ist Hilfe zur Selbsthilfe gefragt; Dorfgemeinschaften müssen sich selbst neu organisieren. Gegen die Ausdünnung von Versorgungsstrukturen hat Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel das Projekt "Neue Dorfmitte" aufgelegt. So werden etwa in der Gemeinde Brunow im Landkreis Ludwigslust auf dem Bauernmarkt nicht mehr nur allerlei Gemüsesorten angeboten, sondern auch Dienstleistungen der Post. Gefördert wird der Erhalt des Marktes für die knapp 500, auf drei Ortschaften verteilten Bewohner, und der Ausbau als Dienstleistungszentrum, etwa für die Gesundheitsvorsorge.

Am Max-Planck-Institut für demographische Forschung in Rostock untersucht unter anderem die Wissenschaftlerin Christina Westphal die sich verändernde Gesellschaft. Nach den Erhebungen des Instituts wird die Bevölkerungszahl in Mecklenburg-Vorpommern durch Abwanderung und niedrige Geburtenrate bis zum Jahr 2050 auf 1,4 Millionen Menschen zurückgehen - von knapp zwei Millionen im Jahr 1990. Das Statistische Bundesamt erwartet in seiner "12. koordinierten Vorausberechnung" gar nur noch 1,17 Millionen Einwohner für das Mecklenburg-Vorpommern des Jahres 2050.

Aus ihrer Sicht, sagt Christina Westphal, müsse Bevölkerungsrückgang dabei nicht einmal schlecht sein: "Das bietet viele Chancen, zum Beispiel für die Natur. Aber wir leben in einer auf Wachstum ausgerichteten Gesellschaft. Wenn irgendwo ein Minus davorsteht, gilt das als schlecht." Gleiche Lebensbedingungen im ganzen Land seien unter den demographischen Bedingungen sicher nicht mehr herzustellen - eher ginge es im ländlichen Raum höchstens darum, "eine Grundversorgung zu erhalten".

Umkehren ließe sich der Trend nur, wenn das weite Land attraktiv für zuziehende junge Menschen würde, was bisher nur für die Universitätsstädte Rostock und Greifswald gilt. Andere Städte, etwa Neubrandenburg, müssen sich bis 2030 auf einen Bevölkerungsrückgang von bis zu 20 Prozent im Vergleich zu heute einstellen. Weil besonders junge Frauen sich in den vergangenen Jahren als sehr mobil erwiesen und das Land verlassen haben, hat sich der Trend zur alternden Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern derart beschleunigt.

Für die Wissenschaftlerin Westphal wäre es am vernünftigsten, manche Regionen in Mecklenburg-Vorpommern einfach aufzugeben. Es werde Gegenden geben, in denen nur die Alten übrig blieben, deren Versorgung aber umso intensiver sein müsste. "Schön wäre, würden diese Menschen dorthin gehen, wo die Angebote vorhanden sind, die sie brauchen." Schön, aber unrealistisch.

© SZ vom 03.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: