Süddeutsche Zeitung

Mazedonien:Zunehmend würdelos

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Der Machtkampf in Mazedonien ist symptomatisch für die wackeligen Demokratien des westlichen Balkan.

Von Nadia Pantel, München

Seit zwei Jahren versucht Mazedonien, sich aus einer Staatskrise herauszukämpfen, die der ehemalige Langzeitpremier Nikola Gruevski dem Land beschert hat. Und wer wagt sich nun mit Vorschlägen nach vorne, wie dem kleinen Balkanstaat zu helfen sei? Gruevski selbst. Sozialdemokraten und albanische Parteien hätten einen "Staatsstreich" versucht, sagte der Ex-Premier dem kroatischen Fernsehsender HRT. Nun seien nur noch Neuwahlen möglich, oder eine sozialdemokratische Minderheitsregierung, die von seiner Partei, der national-konservativen VMRO toleriert würde.

Das Problem ist: Den Vorwurf des Staatsstreiches erheben die Sozialdemokraten (SDSM) ebenso. Und Neuwahlen dürften nur eine Verlängerung des zunehmend würdelosen Machtkampfes zwischen den zwei Großparteien VMRO und SDSM bedeuten. Seit den vorgezogenen Neuwahlen im Dezember vergangenen Jahres befindet sich das Land in einer Patt-Situation. Gruevskis VMRO wurde zwar mit 39,4 Prozent der Stimmen stärkste Kraft vor den Sozialdemokraten (37,9 Prozent), doch scheiterte die Partei daran, eine Regierungskoalition zu bilden. Die Chance der Sozialdemokraten und des bisherigen Oppositionsführers Zoran Zaev schien gekommen zu sein. Am Montag vergangener Woche hatte Zaev genügend Unterstützer im Parlament zusammen und bat Präsident Gjorge Ivanov um das Mandat zur Regierungsbildung. Am Mittwoch dann der Schock: Ivanov verweigerte seine Zustimmung.

Die mazedonische Dauerkrise vereint all die Elemente, welche die Demokratie in den Ländern des westlichen Balkans zu einer wackeligen Angelegenheit haben werden lassen. Es wirken oft mit- und gegeneinander: ein korrupter Machtmensch, der Politik als Möglichkeit der persönlichen Bereicherung begreift, im mazedonischen Fall VMRO-Chef Gruevski; ein Staatspräsident (Ivanov), der sich kaum bemüht, den Eindruck zu erwecken, er sei unabhängig. Ein immer stärker werdender Nationalismus, zu besichtigen in Skopjes mit Pathos und Denkmälern überfrachtetem Zentrum. Und eine Minderheit, in diesem Fall die muslimischen Albaner, die ihren Platz immer schwerer findet, je lauter die nationalistischen Stimmen werden.

Seit 2011 sind albanische Parteien in Mazedonien an der Regierung beteiligt, die Albaner machen immerhin ein Viertel der Bevölkerung aus. Auch Gruevski hatte sich von albanischen Politikern stützen lassen. Doch der Sozialdemokrat Zaev wollte in seiner neuen, just verhinderten Regierungskoalition weiter gehen als bisher üblich. Drei albanische Parteien sollten nicht nur an der Regierung beteiligt werden, sie sollten auch die Möglichkeit bekommen, die Rechte der Albaner im Land zu stärken. Die sogenannte Albanische Plattform fordert, Albanisch zur zweiten Amtssprache zu machen und die wirtschaftliche Entwicklung des albanisch geprägten Landesteils voranzutreiben.

Präsident Ivanov begründete seine Blockade der neuen Regierung damit, dass solche Zugeständnisse an die Albaner "das Land zerstören" würden. Viele Mazedonier teilen seine Einschätzung. Gegen Zaevs Pläne gingen vergangene Woche nicht nur VMRO-Anhänger auf die Straße, sondern auch nationalistische Mazedonier, die von der Horror-Fantasie eines großalbanischen Staates getrieben sind, der Mazedonien teilen würde.

Ein ethnischer Konflikt also? Eher ein Verfall des politischen Systems, der sich zur Überlebensfrage der Nation hochkochen lässt. Zwar muten die aktuellen Forderungen der Albanischen Plattform zu radikal an, um mehrheitsfähig zu sein. Doch das gibt dem Präsident laut mazedonischer Verfassung nicht das Recht, der bisherigen Opposition die Regierungsbildung zu untersagen. Schließlich steht Mazedonien zurzeit nicht nur vor der Frage, welche Rechte die Albaner haben sollten, sondern auch, welche Pflichten Politiker haben. Ein Machtwechsel würde für die Gruevski-Freunde bedeuten, dass sie den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ausgesetzt sind. Präsident Ivanov hatte im April 2016 erfolglos versucht, sämtliche der Korruption verdächtigen VMRO-Politiker zu begnadigen.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini forderte Präsident Ivanov vergangene Woche zur Rücknahme seiner jüngsten Entscheidung auf. Zudem rief sie Politiker aller Parteien zur rhetorischen Mäßigung auf: "Wir brauchen kein Öl, wir haben schon ein Feuer."

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Quelle:
SZ vom 07.03.2017
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