Mazedonien:Hinter neuen Fassaden

Die Regierung des Landes lässt die Hauptstadt umbauen. Dabei geht es nicht nur um Mythen, sondern auch um Geld. Die Opposition hat für das Projekt "Skopje 2014" nicht viel übrig.

Von Florian Hassel, Skopje

Der Architekt Slavko Brezoski war überrascht, als er zum Bürgermeister bestellt wurde. Brezoskis Gebäude prägen seit Jahrzehnten das Gesicht der mazedonischen Hauptstadt: etwa das Kaufhaus Nama, ein fünfstöckiger Bau aus Glas und weißem Marmor, das bei seiner Fertigstellung 1960 moderne Architektur nach Skopje brachte. Dies solle nun anders werden, kündigt der Bürgermeister dem verdutzten Architekten an. Das Kaufhaus solle ein neues Gesicht bekommen: mit einer neoantiken Fassade. Drei Jahre ist das nun her.

Brezoski ist ein berühmter Architekt. Sechs Jahrzehnte entwarf er quer durch Jugoslawien Wohnanlagen und Banken, Museen, Hotels, Kirchen. Als Jugoslawiens Staatschef Tito beim Bau der brasilianischen Hauptstadt Brasilia einen Architekten für die jugoslawische Botschaft suchte, fiel seine Wahl auf Brezoski. In Skopje überstand das von ihm entworfene Kaufhaus selbst ein Erdbeben, das 1963 drei Viertel Skopjes zerstörte. Danach plante Brezoski den Wiederaufbau Skopjes mit, der die Stadt mitten im Kalten Krieg zum einzigartigen Labor moderner Architektur auf dem Balkan machte.

Der Regierungssitz wurde zu einer Art Kopie des Weißen Hauses in Washington

2006 aber übernahm die konservative Partei VRMO die Macht in Mazedonien. Ministerpräsident Nikola Grujewski begann, in der seit 1991 unabhängigen Republik Alexander den Großen als angeblichen Vater einer mazedonischen Nation zu reklamieren. Grujewski ließ das Stadtzentrum mit pseudoantiken Bauten und monumentalen Springbrunnen, Denkmälern und bronzenen Löwenstatuen überziehen. Der ehemalige Sitz des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, heute Sitz der Regierung, wurde mithilfe einer neuen Fassade zu einer Art Kopie des Weißen Hauses in Washington. Und die VRMO baute sich eine protzige Zentrale, mit Wandmalereien, die Grujewski huldigen.

Brezoski, heute ein Herr von 94 Jahren, war entsetzt über "das primitive Projekt", das sein Kaufhaus-Gebäude "in einem falschen Stil der Vergangenheit" uminterpretieren sollte. "Natürlich weigerte ich mich, dem Umbau zuzustimmen", sagt er. Damit hätte es eigentlich sein Bewenden haben müssen. Ein unter Urheberrechtschutz stehendes Gebäude ohne Genehmigung des Architekten zu verändern, ist in Mazedonien verboten. Die Fassade wurde trotzdem gebaut. Insgesamt, überschlug der Architekturpublizist Bojan Blazhevski, wurden in Skopje mehr als 20 moderne Gebäude per Retrofassade umgestaltet - ebenfalls ohne Zustimmung der Architekten.

Öffentliche Architektur ist immer auch Politik - der Umbau Skopjes macht dabei keine Ausnahme. Manchen Mazedoniern gefällt das nationalistische Projekt. "Bei Skopje 2014 geht es nicht um künstlerische oder architektonische Werte", sagt die 66 Jahre alte Margarita Usmanowska, eine pensionierte Architektin. "Aber über ein halbes Jahrhundert hat uns niemand gezeigt, was Teil unserer Geschichte war. Die Partei (VRMO) und Skopje 2014 stützen unsere historischen Traditionen." Nikola Dimitrow, der Mazedonien lange als hochrangiger Diplomat vertrat, sieht es anders. "Grujewski und seine Partei haben das Narrativ der Annäherung an Europa durch Pseudo-Geschichtsschreibung und Mythenbildung über die Große Mazedonische Nation abgelöst."

Aber es geht nicht nur um Mythen, sondern vor allem um viel Geld. Zum Start 2010 verkündete die Regierung, das Projekt Skopje 2014 werde 80 Millionen Euro kosten. Ein hübsches Sümmchen in Mazedonien, wo nicht einmal zwei Millionen Menschen leben und das zu den ärmsten Länder Europas gehört. Der Staatshaushalt beträgt drei Milliarden Euro - etwas mehr als der Haushalt der Stadt Essen. Und viele Mazedonier bezweifelten die Kostenangaben.

In Skopje trug Meri Jordanovska vom Balkan Investigative Reporting Network (Birn) mit Kollegen ein Jahr lang Ausschreibungsunterlagen, Verträge und Sitzungsprotokolle zusammen. Die Reporterin stieß auf merkwürdige Details. Im Fall des Flaggschiffprojekts "Museum des mazedonischen Kampfes für Staatlichkeit und Unabhängigkeit" etwa fand Jordanovska 132 Verträge und "Kühlschränke, die im Laden 500 Euro kosten, aber hier mit 2000 Euro pro Stück angesetzt waren". Erste Ergebnisse präsentierten die Journalisten 2015: Demnach hatte der Umbau Skopjes zum pseudoantiken Disneyland statt 80 mindestens 566 Millionen Euro gekostet. Seitdem bekamen Jordanovska und ihre Kollegen weitere Unterlagen - und dokumentieren in ihrer interaktiven Datenbank im Internet aktuell Kosten von mindestens 670 Millionen Euro.

Oppositionsführer Soran Sajew hat für Skopje 2014 nicht viel übrig. Mazedonien liegt seit seiner Unabhängigkeit im Namensstreit mit Griechenland, in dessen Norden die Region Mazedonien liegt. Die Folge: Griechenland blockiert seit Jahren Beitrittsverhandlungen Mazedoniens zur EU. "Mit dem idiotischen Skopje-2014-Projekt und der zusammenhängenden Pseudo-Geschichtsschreibung, die Alexander den Großen für Mazedonien reklamiert, haben wir nicht nur Griechenland provoziert, sondern auch viel internationale Unterstützung für unsere Position verloren", sagt Sajew. "Außerdem ist Skopje 2014 organisierter Raub der Staatskasse."

Die aufgedeckten Merkwürdigkeiten hält Sajew nur für die Spitze des Eisberges. "Für ein neues Theater wurden Baukosten mit einem Quadratmeterpreis von 5000 Euro angesetzt - der Marktpreis beträgt 450 Euro." Sajew schätzt, dass Skopje 2014 - dessen Bau der Jahreszahl zum Trotz noch nicht beendet ist - "mindestens eine Milliarde Euro kostet. Und mindestens die Hälfte davon wird geklaut." Sajew baut sein Urteil auch auf den "Bomben" auf: über eine halbe Million Aufnahmen illegal abgehörter Telefongespräche und eine weitere halbe Million Transskripte weiterer abgehörter Gespräche.

Die Aufnahmen und Protokolle übergaben ihm besorgte Offiziere des mazedonischen Geheimdienstes im Sommer 2014: Denn der Geheimdienst, jahrelang geführt vom Vetter des Regierungschefs Grujewski, hatte fast 6000 Mazedonier illegal abgehört: Oppositionelle, Menschenrechtler, Journalisten, aber auch Regierungsmitglieder. In deren Gesprächen war von Wahlfälschung und anderen Manipulationen bis zur Vertuschung eines Mordes die Rede.

Sajew übergab Aufnahmen und Protokolle einer auf Druck der EU und Washingtons gegründeten, von der Regierung unabhängigen Sonderstaatsanwaltschaft. Die soll den Abhörskandal ebenso untersuchen wie in den Unterhaltungen erwähnte mutmaßliche Verbrechen. "Skopje 2014 taucht häufig in den Unterhaltungen auf - aus unserer Sicht hängt ein sehr großes Fragezeichen über dem Projekt", bestätigt Sonderstaatsanwältin Lenche Ristoska. 15 Mitarbeiter der Sonderstaatsanwaltschaft sichten Unterlagen zu Skopje.

Mazedoniens Medien verschweigen heikle Daten über die Baukosten

Doch die Aufklärung ist zäh: Andere Teile der Justiz, die der EU-Kommission zufolge nicht unabhängig ist, sondern von der bisherigen Regierung kontrolliert werden, verweigern die Mithilfe. "Oft weigern sich Gerichte, selbst Routineanträgen stattzugeben", sagt Ristoska. "Richter, die unseren Anträgen folgen, werden schnell etwa versetzt." Als die Sonderstaatsanwälte gleichwohl eine Beschlagnahme von Dokumenten im Kulturministerium erwirkten, "weigerte sich das Ministerium zunächst, die Dokumente herauszugeben und erklärte uns, der Gerichtsbeschluss sei nicht legal", schildert Ristoska.

Und noch ist unklar, wie lange die Sonderstaatsanwaltschaft überhaupt noch arbeiten kann: Das von der Regierung kontrollierte Parlament weigerte sich im Oktober, das Mandat der Staatsanwälte zu verlängern. Außenminister Nikola Poposki rechtfertigt die Weigerung so: "Wir sollten keine Unvorhersehbarkeit in das politische System bringen." Wer in Mazedonien künftig regieren wird, ist auch nach der Parlamentswahl vom 11. Dezember und einer Nachwahl vom Sonntag unklar.

Zu den explodierenden Kosten zu Skopje befragt, sagt Poposki: "Ich kenne die echten Zahlen nicht. Auf jeden Fall hat Skopje 2014 unserem Bausektor geholfen, unsere Wirtschaft selbst in Krisenzeiten wachsen und unsere Touristenzahlen steigen zu lassen." Was er nicht erwähnt: Seit Beginn des Skopje-2014-Projekts hat sich die Staatsverschuldung fast verdoppelt. Mazedonische Medien, oft von Grujewskis Partei kontrolliert, verschweigen solche Daten meist. Von der Birn-Datenbank zu den aufgelaufenen Kosten haben etwa die Architektin Margarita Usmanowska und ihr Mann noch nie gehört. "670 Millionen Euro? Dafür kann man ja eine Fluglinie kaufen! Das ist bestimmt nur Propaganda der Opposition", sagen die Usmanowskis.

Und der pseudoantike Umbau Skopjes ist keinesfalls beendet. Am zentralen Platz der Stadt, wo bereits eine Fassade vor das Kaufhaus gesetzt wurde und eine riesige Statue Alexanders des Großen eine vermeintlich große mazedonische Vergangenheit beschwört, soll auch das Einkaufszentrum GTC "im Neobarockstil verschandelt werden", sagt Danica Pavlovska, Vorsitzende des Architektenverbandes Mazedoniens. "Irgendwann, wenn es diese Regierung nicht mehr gibt, wird es die größte Herausforderung sein, die schlimmsten Bausünden zumindest abzumildern", sagt sie. "Vielleicht mit neuen Wettbewerben, zur Umgestaltung der Fassaden."

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