Nach dem EU-Gipfel:Mays Ende

Nach dem EU-Gipfel: Seit Tagen gehen Abgeordnete ein und aus in der Downing Street und sagen: Theresa, tritt zurück!

Seit Tagen gehen Abgeordnete ein und aus in der Downing Street und sagen: Theresa, tritt zurück!

(Foto: AFP)

Es wird einsam um die britische Premierministerin, in Brüssel soll sie regelrecht verwirrt gewirkt haben. Sie ist die falsche Frau in einem Höllenjob. Zahlreiche potenzielle Nachfolger stehen bereit.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, London

Die Geschichten, die sich um Theresa May ranken, werden immer düsterer. Sie habe in Brüssel regelrecht verwirrt gewirkt, wird berichtet; sie sei beratungsresistent und verschrecke selbst Vertraute. Einer ihrer engsten Mitarbeiter nannte Mays Rede vom Mittwochabend, in der sie dem Parlament die Schuld am Brexit-Chaos gab, "abstoßend". Würden alle Minister zurücktreten, schreibt ein Kommentator, würde sie ihre Sitzungen allein abhalten und rufen: "Ich bin das Kabinett."

May wolle das Land in den vertragslosen Austritt führen, wenn sie nicht ihren Willen bekomme, berichten Minister, die zuletzt mit ihr geredet haben, sie entwickele diktatorische Züge. Sie breche regelmäßig ihr Wort und halte eine andere als ihre eigene Meinung immer für falsch.

Seit Tagen gehen Abgeordnete ein und aus in der Downing Street und sagen: Theresa, tritt zurück! Aber sie sei störrisch wie ein Esel. Bald müssten wohl die "Männer in den grauen Anzügen" kommen und sie zwingen, heißt es in Anspielung auf eine Tory-Delegation, die einst die widerstrebende Margaret Thatcher zum Rückzug überredete. Ein Kolumnist des Observer hatte die Formulierung damals geprägt, und das Bild wird nun May regelmäßig vorgehalten. Es wird einsam um die Premierministerin.

Das politische Geschäft kann grausam sein. Immer wieder werden einzelne Personen an den Pranger gestellt, weil das einfacher ist, als in einem komplexen System nach Ursachen und Lösungen zu suchen. Und es stimmt ja: Das Parlament hat bis heute keinen konstruktiven Beschluss gefasst, der einen Weg aus der Misere zeigt.

May ist nicht die Person, die ausgleichen, moderieren, auf andere zugehen kann

May ist aber nicht die Person, die jetzt ausgleichen, moderieren, auf andere zugehen kann. Sie ist die falsche Frau in einem Höllenjob. Das wissen alle in Westminster, das weiß auch ihre Partei. Aber der sind die Hände gebunden, weil May im Dezember vergangenen Jahres, in vergleichsweise besseren Zeiten, ein internes Misstrauensvotum überlebt hat. Jetzt kann sie für viele Monate nicht erneut von ihrer Fraktion herausgefordert werden.

Ihr Deal, falls sie diesen in der kommenden Woche erneut zur Abstimmung stellt, dürfte zum dritten Mal in Folge durchfallen. In den Augen vieler Abgeordneter bleibt der Vertrag die schlechteste unter vielen schlechten Lösungen. May wird auch danach weiterkämpfen, wird weiter an Respekt verlieren, weiter allein Regierung spielen. Das Parlament wird die Sache in die Hand nehmen; es ist das Einzige, was bleibt. Und das bedeutet: Letztlich läuft alles auf eine langfristige Verschiebung des Brexit zu. Das wäre auch so, wenn May mit sanfter Gewalt von den eigenen Leuten gezwungen werden könnte, endlich von selbst zu gehen.

Zahlreiche potenzielle Nachfolger stehen bereit. Unwahrscheinlich, dass es Ex-Außenminister Boris Johnson würde, er spaltet die Tories noch mehr, als es der Brexit tut. Aber Umweltminister Michael Gove und auch Außenminister Jeremy Hunt, beide moderate Leaver, die Brücken bauen können, werden bereits intensiv gehandelt. Eine langfristige Verschiebung des Austrittsdatums inklusive Europawahlen, welche die EU am Donnerstag widerstrebend angeboten hat, ist zwar nichts, was die EU-Gegner wollen. Aber es könnte der einzig gangbare Weg sein. Möglich also, dass es einen neuen Premier gibt, bevor es einen neuen Deal gibt.

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