Süddeutsche Zeitung

Max-Planck-Institut:Auftritt von Israel-Hasser hat parlamentarisches Nachspiel

Das Hallenser Max-Planck-Institut gab dem umstrittenen US-Politologen Norman Finkelstein ein Podium. Die Grünen haken bei der Bundesregierung nach.

Von Oliver Das Gupta

Ende Januar war der der US-Politologe Norman Finkelstein am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung (MPI) in Halle an der Saale zu Gast. Ein Vorgang, der zum Politikum geworden ist. Ein Politikum, das nun auch den Bundestag beschäftigt.

Denn in einer kleinen Anfrage der Grünen-Fraktion an die Bundesregierung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wird die Informationspolitik des MPI zu Finkelstein thematisiert. Doch dazu später.

Zuerst sei erklärt, warum der Amerikaner so polarisiert: Finkelstein macht keinen Hehl daraus, wie tief seine Abneigung gegen den Staat Israel sitzt, den er auch als "Monster" bezeichnet. Verständnis zeigte er für Hamas und Hisbollah, islamistische Terrorgruppen, die Israel vernichten wollen. Bekannt wurde er durch sein Buch "Die Holocaust-Industrie". Darin bezweifelt Finkelstein unter anderem die Einzigartigkeit der Vernichtung der Juden Europas durch Nazi-Deutschland. Jüdischen Organisationen wirft er außerdem mit Hilfe von teilweise widerlegten Fakten vor, die Schoah auszuschlachten. Finkelstein zeichnet das Zerrbild vom angeblich geldgierigen Juden - ein typisch antisemitisches Stereotyp.

Weil Finkelstein selbst Nachkomme von Holocaust-Überlebenden ist, bekommt er in rechtsextremen Kreisen besonders großen Beifall für seine Thesen. Der wissenschaftliche Anspruch von Finkelstein und seinen Publikationen wird allerdings immer wieder in Frage gestellt. Es gibt aber auch namhafte Wissenschaftler, die manche von Finkelsteins Arbeiten loben.

MPI-Direktorin Foblets verteidigt den Auftritt

Für viele Juden und Nichtjuden, auch für solche, die die konfrontative Palästinenser-Politik der aktuellen israelischen Regierung infrage stellen, ist Finkelstein ein rotes Tuch. Sein neues Buch behandelt ein heikles Thema: den Krieg im Gaza-Streifen 2014, der etwa 70 Israelis und 2100 Palästinenser das Leben kostete. Der Titel des Buches zeigt einmal mehr, dass bei Finkelstein die Übergänge zwischen Wissenschaft und Aktivismus fließend sind: "Gaza: An inquest to its martyrdom", zu Deutsch: "Gaza: eine Untersuchung seines Martyriums".

Für das MPI Halle war Finkelstein gerade wegen seiner kontroversen Standpunkte ein interessanter Gesprächspartner, wie Direktorin Marie-Claire Foblets der SZ schriftlich begründet. Das Mandat ihres Instituts bestehe darin, zukünftige Wissenschaftler zu schulen, schreibt Foblets, sie müssten lernen, sich andere Positionen zu erschließen. Dies sei "vor allem von Bedeutung, wenn sie später als Sachverständige national wie international tätig werden. Für die Ausbildung, die wir unseren Doktoranden anbieten, heißt das: umso 'schwieriger' der Gegner, umso besser", schreibt Foblets.

Darum also lud das Max-Planck-Institut Finkelstein im Januar für zwei Veranstaltungen nach Halle ein. Allerdings betrieb es dabei eine Informationspolitik, die für Irritationen sorgte. An diesem Punkt setzt die Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion an.

Bei der Kommunikation des MPI über die Finkelstein-Visite gebe es "eine Reihe von Ungereimtheiten und Widersprüchen, die bei den Fragestellern Zweifel an wissenschaftlicher Haltbarkeit, Wahrhaftigkeit und Transparenz aufkommen lassen", heißt es in dem Papier. Unter anderem wird dem MPI vorgeworfen, die ursprünglich öffentliche Einladung zum Finkelstein-Auftritt im Nachhinein als interne Veranstaltung deklariert zu haben.

Besonders heikel ist der Text eines Plakats, mit dem das MPI im Januar für Finkelsteins Workshop geworben hatte. Bei der Ankündigung, die Finkelstein auch zwischenzeitlich auf seiner Homepage präsentiert hatte, wurde in englischer Sprache das Thema detailliert beschrieben.

In dem Plakattext sind Behauptungen enthalten, die nicht der Wahrheit entsprechen: So heißt es etwa, die Bevölkerungsdichte im Gaza-Streifen sei höher als die Tokios. Oder: Die radikalislamische Hamas habe 2014 keine Raketen auf Israel abgeschossen. Oder: Es habe keine für Angriffe gegrabenen Tunnel vom Gazastreifen auf israelisches Territorium gegeben. Das Gegenteil ist das Fall. All das steht unter dem Logo des Max-Planck-Instituts, das großteils von Bund und Ländern finanziert wird.

Solche Behauptungen sorgen auch beim Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft für Aufregung, wie aus der Grünen-Anfrage hervorgeht. "Offen gesagt weiß ich nicht, wie wir mit diesem Flyer in einen öffentlichen Disput gehen können", schrieb Martin Stratmann am 23. Januar dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck, der die Anfrage mit auf den Weg gebracht hatte. Stratmann fügte hinzu: "Musste das sein? Ist das vom Institut autorisiert oder von Herrn Finkelstein lanciert?"

Tatsächlich schrieb Finkelstein den Text selbst über sich in der dritten Person, wie MPI-Direktorin Foblets erklärt. Dabei kam es von MPI-Seite zu einem Fehler: Man müsse einräumen, dass eine "Prüfung" des "Textes unterblieben" sei und so der Eindruck entstehen konnte, das MPI vertrete Finkelsteins Thesen. "Ich möchte betonen, dass wir diese Darstellung nicht teilen", so Foblets. Auch für Finkelstein persönlich gab es entsprechenden Gegenwind: "Im Rahmen des Workshops ist das von den Studenten ganz deutlich kritisiert worden", schreibt die Direktorin. Der Workshop sei allerdings "intensiv und hoch spannend" gewesen.

Die Direktorin, die in ihrer belgischen Heimat bereits vor Jahren Finkelstein zu einer Veranstaltung eingeladen hat, ist von der Kritik überrascht; sie "verwehrt" sich gegen den Versuch, den Auftritt in Halle zu politisieren. "Wenn wir bei unseren Einladungen bestimmte Wissenschaftler aufgrund ihrer politischen oder ideologischen Positionen ausschließen würden, würden wir den Status eines wissenschaftlichen Forschungsinstituts nicht verdienen."

Hält die Regierung Finkelstein für einen ernstzunehmenden Wissenschaftler?

Auch an diesem Punkt setzt allerdings die Grünen-Anfrage an. Die Abgeordneten klopfen bei der Bundesregierung ab, inwiefern es sich bei der Einladung Finkelsteins um einen "wissenschaftlich begründeten oder begründbaren Vorgang" handelte. Aus der Antwort könnte hervorgehen, ob die Bundesregierung Norman Finkelstein für einen ernstzunehmenden Wissenschaftler hält - oder nicht.

Finkelstein selbst behauptet, inzwischen politisch gemäßigt zu sein. "Ich selbst sehe mich (...) nicht mehr als radikal oder kontrovers an", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung während seines Besuchs in Sachsen-Anhalt, "ich bin heute in der Mitte des politischen Spektrums".

Die falschen Angaben, die er dem MPI zum Gaza-Krieg untergejubelt hat, lassen an einer Mäßigung zweifeln.

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