Scheuers Maut-Debakel:Minister Unverantwortlich

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Beim Thema Maut war im Untersuchungsausschuss am Donnerstag nur einer zu Scherzen aufgelegt: Verkehrsminister Andreas Scheuer. (Foto: Kay Nietfeld)

Sein größtes Projekt endet im Fiasko, doch Fehler haben bei der geplatzten Pkw-Maut aus Sicht von Andreas Scheuer nur andere gemacht. Sein Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss ist eine Provokation.

Von Markus Balser, Berlin

Als der Bundesverkehrsminister begleitet von Personenschützern am Mittag hastig in den großen Vernehmungssaal 3.101 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus kommt, ist er gut präpariert. Andreas Scheuer (CSU) platziert Aktenordner und einen gelben Energydrink auf dem Tisch. Gleich zum Start wird er persönlich: Den Unmut über die geplatzte Pkw-Maut, das größte Fiasko seiner Amtszeit, "kann ich verstehen", sagt Scheuer mit tiefer Stimme. "Das lässt mich nicht unberührt."

Doch wer nun dachte, der Minister würde eineinhalb Jahre nach dem spektakulären Scheitern der Pkw-Maut plötzlich Fehler eingestehen, sich gar entschuldigen, wird eines Besseren belehrt. Er habe nie Fehler gemacht oder gegen Recht verstoßen, schickt Scheuer schnell hinterher und redet sich vor den Abgeordneten gut gelaunt in sein Element. Als im Saal hoch über der Spree die Rollos zum Schutz vor zu viel Sonne herunterfahren sollen, interveniert Scheuer: "Lassen Sie die doch gerne oben. Für mich geht gerade die Sonne auf."

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Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wurde am Donnerstag als letzter Zeuge erneut vor dem Maut-Ausschuss vernommen. Die Opposition wirft Scheuer vor, die Aufklärung zu behindern. Verantwortlich für das Scheitern der Maut will der Minister nicht gewesen sein.

Außer Scheuer ist beim Thema Maut inzwischen allerdings kaum noch jemand zu Scherzen aufgelegt. Die Parlamentarier haben im Maut-Ausschuss des Bundestags innerhalb eines Jahres schwere Verstöße im Verkehrsministerium offengelegt. Scheuer steht heftig unter Druck, weil er milliardenschwere Maut-Verträge Ende 2018 unterzeichnen ließ, obwohl gar keine Rechtssicherheit bestand. Im Juni 2019 erklärte der Europäische Gerichtshof dann die Abgabe für europarechtswidrig. Weil der Bund die Verträge kündigen musste, klagen die Betreiber inzwischen auf 560 Millionen Euro Schadenersatz. Dem Steuerzahler droht ein Nachspiel. Ausgerechnet in der Wirtschaftskrise droht dem Haushalt ein zusätzliches Riesenloch.

Vom EuGH-Urteil sei er "vollkommen überrascht" worden, sagt Scheuer

Doch der zuständige Minister referiert am Donnerstag vor verdutzten Abgeordneten, warum er eigentlich gar keine Verantwortung für das Projekt trage, von dem sich andere Zeugen allerdings erinnerten, dass er es auf Biegen und Brechen durchsetzen wollte. Die Maut sei ein von der damaligen großen Koalition getragenes Projekt gewesen, sagt Scheuer. Sie sei gleich zwei Mal von Bundestag und Bundesrat beschlossen worden. Selbst bei den letztlich geplatzten Verhandlungen über die Jamaika-Koalition 2017 sei mit FDP und Grünen vereinbart worden, die Maut fortzusetzen. FDP und Grüne werfen Scheuer nun Versäumnisse vor.

Zudem müsse er sich auf das Votum seiner engsten Mitarbeiter verlassen. So sei er von dem "niederschmetternden Urteil" des EuGH im Sommer 2019 "vollkommen überrascht" worden, erinnert sich der Minister. Seine wichtigsten Mitarbeiter hätten ihm einen ganz anderen Ausgang vorhergesagt.

Immer klarer wird im Lauf der Vernehmung, was der Minister an diesem Nachmittag erreichen will. Denn Scheuer rückt in der Affäre nun seinen früheren Staatssekretär Gerhard Schulz in den Mittelpunkt des Geschehens. Er habe Schulz immer wieder danach gefragt, ob das Vorgehen haushalts- und vergaberechtlich geprüft und sicher sei. "Das wurde mir bestätigt", sagt Scheuer. Auch von zu hohen Kosten will Scheuer von Schulz erst spät informiert worden sein.

Die Geschichte der Maut wird an diesem Nachmittag damit um ein neues Kapitel erweitert. Sie handelt davon, wie die Regionalpartei CSU verzweifelt nach einem Wahlkampfthema sucht. Wie sie ihr Prestigeprojekt dann gegen alle Zweifel in Berlin durchdrückt. Wie immer klarer wird, dass es am Ende kein Happy End geben wird - für niemanden. Nun wird auch noch klar, wie sich der wichtigste Verantwortliche für die Maut, der zuständige Minister, aus der Affäre ziehen will.

Im Sommer soll ein Abschlussbericht des Ausschusses stehen

Doch die Indizien, dass bei der Umsetzung der umstrittenen Maut Recht gebrochen wurde, sind längst erdrückend. Weil die Maut in Wahrheit eine Milliarde Euro teurer zu werden drohte als öffentlich bekannt, übernahm der Bund verdeckt Risiken und Kosten für das Prestigeprojekt, um die vom Bundestag bewilligten Mittel von zwei Milliarden Euro nicht zu sprengen. Auch der Bundesrechnungshof warf Scheuer deshalb bereits den Bruch von Haushalts- und Vergaberecht vor.

Er habe im Dezember 2018 eine "Abwägungsentscheidung" zu treffen gehabt, rechtfertigt sich Scheuer. Ein "minimales" rechtliches Restrisiko habe dreistelligen Millionenbeträgen an Einnahmen gegenübergestanden. Allerdings gab es von Anfang an erhebliche Zweifel, ob die Pkw-Maut überhaupt signifikante Einnahmen bringen würde. Europarechtler hatten zudem wegen Diskriminierung vor einem drohenden Scheitern und großen Risiken der Maut gewarnt. Zahlen sollten nur Ausländer. Genau eine solche Diskriminierung schließt EU-Recht aber aus.

Die Meinung, dass bei der Maut alles mit rechten Dingen zugegangen sei, habe Scheuer "ziemlich exklusiv", sagte der Linke-Obmann Jörg Cezanne. Der FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic attestierte dem Minister mangelnde Bereitschaft, offensichtliche Fehler auch nur im Ansatz einzugestehen. Statt ein wenig Demut an den Tag zu legen, weiche Scheuer Fragen aus und schiebe die Verantwortung auf seinen ehemaligen Staatssekretär. Kirsten Lühmann von der SPD sprach von organisierter Verantwortungslosigkeit. "Jeder schiebt es auf den anderen und keiner will es gewesen sein." Scheuer ist der letzte Zeuge im Ausschuss. Bis zum Sommer soll ein Abschlussbericht fertig werden.

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