Süddeutsche Zeitung

Maut:Sehenden Auges ins Debakel

Im Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut sagt ein hochrangiger Beamte des Bundesverkehrsministeriums aus, man sei sich der Risiken des Projekts bewusst gewesen - und bringt seinen Chef Andreas Scheuer damit weiter in Bedrängnis.

Von Markus Balser, Berlin

Schon die Umstände machten klar, um wie viel es in diesen Tagen beim Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren Maut-Debakel im Bundestag geht. Während die Hauptstadt am Montag in den härteren Lockdown startete und es auch im Regierungsviertel ruhig wurde, war der Andrang im Anhörungssaal 3.101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses im Bundestag ziemlich groß. Ein knappes Dutzend Abgeordnete kam zusammen, um stundenlang Zeugen für die Aufklärung der Maut-Affäre von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) voranzutreiben. Schnelltests durch die Parlamentsärztin am Morgen sollten sicherstellen, dass die Vernehmung wichtiger Zeugen nicht zum Infektionsherd wurde.

Was folgte, ließ tief blicken in die kompromisslose Realisierung eines CSU-Prestigeprojekts durch das Verkehrsministerium. Im Zentrum stand am Montag eine graue Eminenz des Ressorts. Karl-Heinz Görrissen, 67, war oft nah dran an den Entscheidungen der deutschen Verkehrsminister. Seit 2009 führt er den Leitungsstab des Hauses. Auch in der heißen Phase der Vergabe der Maut-Verträge ließ sich Scheuer vom Chef der Leitungsabteilung informieren. So schickte "Gö" dem "lieben Andi" eine Info per Mail im November 2018 einige Wochen vor dem Zuschlag. Ein Betreiber fordere wohl stärkere Garantien, um mit dem Angebot herunterzugehen, hieß es da.

Der gut informierte Spitzenbeamte musste am Montag per Videoschalte vor den Parlamentariern einräumen, dass das Ministerium die Verträge trotz Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Maut vorantrieb. "Wir wussten im Vorfeld, dass es gewisse Risiken gibt", sagte Görrissen im Hinblick auf die damals noch ausstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Schließlich hatte die Kommission immer wieder signalisiert, dass das deutsche Modell, nur Ausländer zu belasten, gegen EU-Recht verstößt. Im Ministerium habe aber die Meinung vorgeherrscht, dass man die Zweifel ausräumen könne, sagte Görrissen. Offen blieb allerdings, wie das klappen sollte. Denn am Kern des Plans änderte das Ministerium jahrelang nichts: Die Deutschen sollten durch eine Kompensation mit Entlastungen bei der KfZ-Steuer nicht draufzahlen, Ausländer aber schon.

"Jeder anständige Minister wäre längst zurückgetreten"

Damit gerät auch Scheuer weiter in Bedrängnis. Denn der EuGH stoppte die Mautpläne des Ministers jäh und stufte sie im Juni 2019 als europarechtswidrig ein. Scheuer steht seither stark unter Druck, weil er millionenschwere Verträge zur Mauteinführung abgeschlossen hatte, bevor Rechtssicherheit bestand. Es drohen deshalb Schadenersatzzahlungen von mehr als einer halben Milliarde Euro an die Betreiber, deren Verträge das Ministerium noch Ende 2018 unterschrieb.

Die Opposition hält massive Verstöße des Ministers für inzwischen für erwiesen. Um die Maut umzusetzen, habe Scheuer systematisch und bewusst Haushalts- und Vergaberecht gebrochen, sagt Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. Zudem habe das Ministerium die Mautverträge nach dem Scheitern völlig übereilt und ohne genauere Kenntnis der Schadenssumme gekündigt. Scheuers Verfehlungen bei der Maut reichten für mindestens drei Rücktritte, sagte Krischer. "Jeder anständige Minister wäre längst zurückgetreten." Es gehe um Organisationsverschulden, fehlende Kontrollmechanismen und Verantwortungsmissbrauch, sagte FDP-Obmann Christian Jung. Die Minister Alexander Dobrindt und Scheuer hätten die "CSU-Ausländermaut ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen wollen", klagt Linken-Politiker Jörg Cezanne.

Maut-Debakel, das Chaos um die Bußgeldnovelle und zuletzt auch noch eine missglückte Weihnachtsplätzchenaktion für Klinikmitarbeiter - wie blank die Nerven im Verkehrsministerium angesichts der Serie von Pannen und Problemen liegen, macht eine aktuelle Personalie klar. Scheuers Kommunikationschef Wolfgang Ainetter, der wegen des Auftretens des Ministers in der Kritik stand, gebe den Posten auf, hieß es.

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