Untersuchungsausschüsse:Wo der Bundestag im Trüben fischt

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Vorgeladen: Ein Zeuge wird im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz vernommen.

(Foto: Christian Ditsch/imago)

Am Donnerstag soll die parlamentarische Aufklärung des Pkw-Maut-Debakels beginnen. Doch was können Untersuchungsausschüsse erreichen? Eine kleine Bilanz anhand früherer Affären.

Von Markus Balser, Stefan Braun, Ronen Steinke und Mike Szymanski, Berlin

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sollen die großen politischen Affären aufklären. Am Donnerstag wird der Ausschuss zur Maut seine Arbeit aufnehmen. Er soll die riskante Einführung der von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) forcierten Pkw-Maut unter die Lupe nehmen. Insgesamt 46 solcher Ausschüsse gab es in der Geschichte des Bundestags. Doch was ist aus den Aufklärungsbemühungen der letzten großen Ausschüsse geworden?

Visa-Affäre

Er liegt schon einige Jahre zurück. Und er gehörte zu den kürzesten seiner Art. Aber der sogenannte Visa-Untersuchungsausschuss des Jahres 2005 ist bis heute vielen in Berlin in Erinnerung geblieben. Zum einen, weil der damalige Außenminister Joschka Fischer bei seiner Vernehmung Geschichte schrieb mit seinem Ausspruch: "Schreiben Sie, der Fischer ist schuld". Es war kein Satz für die Akten; es war das faktische Ende der Auseinandersetzung. Mit seinem halb ernsten, halb ironischen Satz hatte Fischer den schärfsten politischen Druck rausgenommen.

Davor freilich war die Luft zwischen der rot-grünen Regierung und der schwarz-gelben Opposition bleihaltig gewesen. Im Kern ging es um eine von Fischers Außenministerium vorangetriebene Liberalisierung der Visa-Vergabe in Osteuropa - und einer zu zögerlichen Reaktion auf Berichte, dass diese Liberalisierung auch von kriminellen Schleusern genutzt wurde. Der neue, offenere Kurs war mit drei Weisungen des Auswärtigen Amtes in den Jahren 1999 und 2000 an die Botschaften und Konsulate initiiert worden.

In den folgenden Jahren wurden Proteste aus dem Bundesinnenministerium ebenso ignoriert wie Berichte aus den Botschaften in Kiew und Moskau. Zum Eklat kam es, als im Februar 2004 ein Landgericht in Köln dem Außenamt eine Mitschuld an Schleusungen zuwies. Als die Regierung die Kritik vehement von sich wies, erzwang die Opposition einen Ausschuss. In ihm kamen manche Widersprüchlichkeiten zutage. Außerdem konnte sich die Amtsleitung an einzelne Weisungen und Schriftsätze nicht mehr erinnern. Eine absichtlich schlechte Tat aber konnte nie nachgewiesen werden.

Trotzdem tat der Ausschuss der Regierung weh. Er nährte Zweifel an der Seriosität und an der Verlässlichkeit im Schutz gegen Schleuser, und das in einer Zeit, in der Rot-Grün aus vielen Richtungen der Wind ins Gesicht blies. So stürzte die SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis Mitte Februar; und in Nordrhein-Westfalen baute sich eine Anti-Stimmung gegen Regierungschef Peer Steinbrück auf, die am 22. Mai zu seiner Abwahl führte. Der Ausschuss hatte das nicht alleine ausgelöst, aber wie ein massiver Verstärker gewirkt.

NSA-Abhöraffäre

Etwas mehr als drei Jahre lang, von 2014 bis 2017, trafen sich die Abgeordneten in einem abhörsicheren Raum, und an der Tür stand dann immer "NSA". Mit der amerikanischen National Security Agency hat sich dieser Untersuchungsausschuss allerdings kaum befasst. Wie auch? Kein einziger NSA'ler hat sich als Zeuge befragen lassen, kein einziges NSA-Dokument konnte in Augenschein genommen werden. Selbst Dokumente, die von der NSA und dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND gemeinsam erstellt wurden, waren tabu. Und der ehemalige NSA-Zuarbeiter Edward Snowden, der zu gern etwas erzählt hätte, ob per Video oder in Person, wurde von der Bundesregierung blockiert. Was stattdessen untersucht wurde, war der BND.

Das allerdings war wertvoll, weil es eine Weile her war, seitdem Steuerzahler und Volksvertreter zuletzt mitbekommen hatten, was der deutsche Spionageapparat so tut. Die wichtigste Erkenntnis: Abhören unter Freunden, das geht klar. Auch beim BND. Und das, obwohl die Kanzlerin erklärt hatte: "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht." Der Satz war gefallen, kurz nachdem sie erfahren hatte, dass die NSA auch eines ihrer Handys abgehört hatte.

Mit dem Ausschuss zeigte sich, dass die Kanzlerin selbst von den eigenen Praktiken offenbar nichts gewusst hatte. Ganz schön merkwürdig für die Chefin einer Regierung, deren Geheimdienst unter anderem die Innenministerien der USA, Polens und Österreichs, aber auch US-Vertretungen bei der EU und den Vereinten Nationen oder auch das US-Außenministerium, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf, das Amt des israelischen Ministerpräsidenten und so gut wie jede europäische Regierung überwacht hat.

Terroranschlag von Berlin

Ist es ein Ausweis von Schwäche, wenn ein Staat, der gerade von einem Terroranschlag getroffen worden ist, erst einmal in Selbstkritik versinkt? Nein. Es ist ein Ausweis des Selbstbewusstseins einer Demokratie, dass sie im Moment eines solchen Schocks nicht nur nach außen hin Festigkeit zeigt, sondern auch innehält und ihr eigenes Abwehrverhalten überprüft. Nach dem schwersten islamistischen Anschlag auf deutschem Boden, dem Weihnachtsmarkt-Anschlag vom 19. Dezember 2016 mit zwölf Toten, hat es dazu Grund gegeben.

Und so untersuchen die Abgeordneten seit 2017, wie zuvor etwa die Parlamente in Frankreich oder in den USA nach 9/11, ob die hiesigen Sicherheitsbehörden Fehler begangen haben. Die Frage hieß: Wie kann es sein, dass der Täter, Anis Amri, ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien, der obendrein ein polizeibekannter Dschihadist war, nicht rechtzeitig abgeschoben wurde? Die Antwort: Eine Mischung aus Überforderung der Behörden und menschlichem Versagen. Manche Kritiker der Regierung hatten anfangs die viel brisantere These in den Raum gestellt, deutsche Behörden hätten heimlich ihre schützende Hand über den Täter gehalten. Diese Theorie ist bis heute nicht belegt worden.

Abgas-Affäre

Wie es zu einer der dreistesten Betrugsaffären der deutschen Industrie kam? Der Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal in der Autobranche ging dieser Frage von Juli 2016 bis Juni 2017 nach. Im Kern ging es darum, ob Behörden, Ministerien, vielleicht sogar die ganze Bundesregierung wegschauten, als die Industrie Umweltstandards bei vielen Autos nur mit Tricks und Betrügereien einhielt. Die Abgeordneten vernahmen 57 Zeugen, darunter auch die Kanzlerin und den früheren VW-Chef Martin Winterkorn. Ihre letzten Zeilen notierten die Stenografen, als schon 2000 Seiten Protokoll erstellt waren. 2400 Aktenordner wurden zu Beweismitteln. Doch die Konsequenzen der vielen Sitzungen waren ernüchternd. Änderungen in den zuständigen Ministerien: praktisch keine.

Zwar warf der Ausschuss ein Schlaglicht auf fragwürdige Zustände in Behörden und Ministerien. Klar wurde, dass Grauzonen in Gesetzen nur viel zu halbherzig geschlossen wurden, um dem Treiben der Industrie ein Ende zu setzen. Denn teils liefen die Fahrzeuge nur auf dem Prüfstand sauber, weil eine Autosoftware die Tests erkannte. Doch Schuldige stellte der Ausschuss nicht an den Pranger. Opposition und Koalition waren sich bis zum Schluss uneins, welche Lehren zu ziehen seien. Während sich die Regierung fehlerfreie Arbeit attestierte, warfen Linke und Grüne der Koalition in einem Sondervotum vor, Hinweise auf einen breiten Betrug der Branche ignoriert zu haben.

Berater-Affäre

Der Untersuchungsausschuss zur Berater-Affäre im Verteidigungsministerium hat seit Februar dieses Jahres Fragen aufgeworfen, die weit über die Zustände in diesem Ressort hinausgehen: Wie viel Macht üben Externe mittlerweile im Regierungsgeschäft aus? Wird zu viel an Expertise ausgelagert? Der SPD-Politiker Wolfgang Hellmich, Vorsitzender im Untersuchungsausschuss, sieht bereits die "Handlungsfähigkeit des Staates" gefährdet. Gerade im Verteidigungsministerium geht es immer auch um zentrale Fragen der Sicherheit.

Anlass für den Ausschuss waren Berichte des Rechnungshofs über gravierende Verstöße gegen das Vergaberecht. Beraterunternehmen kamen teils ohne Ausschreibung an millionenschwere Aufträge. Was der Ausschuss seit Februar zutage förderte, gibt Anlass zur Sorge: Externe Berater waren in die Struktur des Ministeriums teils so sehr eingebunden, dass es für Außenstehende kaum noch erkennbar war, mit wem sie sich austauschten.

Weil führende Vertreter von Beraterunternehmen freundschaftliche Beziehungen zur Hausleitung des Ministeriums bis hin zur damaligen Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder unterhielten, steht auch der Vorwurf der Vetternwirtschaft im Raum. Dafür hat der Untersuchungsausschuss bislang keinen handfesten Beleg geliefert, allerdings beklagten sich leitende Beamte im Ausschuss darüber, wie Entscheidungen zugunsten bestimmter Auftragnehmer quasi an ihnen vorbei getroffen wurden.

Die damalige Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) war davon überzeugt, nur mit Hilfe von außen die Bundeswehr modernisieren zu können. Dass der Einsatz außer Kontrolle geraten war, musste sie einsehen. Sie schärfte die Kontrollen für Vergaben. Ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) legte schon in den ersten Monaten Wert darauf, Expertise in der Truppe zu behalten und stoppte Privatisierungsvorhaben - so hat ein noch laufender Ausschuss bereits viel bewegt. Die Denke im Haus hat sich verändert.

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