Mauritius:"Oh, wie seltsam"

Mauritius lebte lange vom Zuckerrohr, dann mauserte sich die Insel zum Paradies - für Urlauber und für Menschen, die keine Steuern zahlen wollen. Deren manchmal dubiose Herkunft nehmen die Behörden mit großer Nonchalance.

Von Bernd Dörries und Will Fitzgibbon

Harvesh Seegolam hat eigentlich einen ganz guten Blick auf die Branche, die er kontrollieren soll. Von seinem Büro aus schaut er auf die Bürotürme der großen Banken, auf die Zentralen von HSBC und Barclays, von Standard Bank und der pakistanischen MCB. Vor etwa fünfzehn Jahren, sagt er, sei hier noch gar nichts gewesen, eine grüne Wiese. Das Gebäude der Finanzaufsicht, deren Leiter er ist, sei eines der ersten gewesen, das hier vor den Toren der Hauptstadt Port Louis aus dem Boden gestampft wurde. Es hat gerade mal sechs Stockwerke. Damals war es fast ein Riese, heute wirkt es ein wenig zu klein geraten zwischen all den Türmen der Finanzindustrie. Vielleicht ist sie Seegolam gar nicht so unrecht, diese Symbolik. "Wir gehen hier sehr pragmatisch vor", sagt er über die Branche, die er kontrollieren soll.

So kann man das sehen.

Man kann es aber auch so sehen wie Oxfam, die Nichtregierungsorganisation, die Mauritius unter die 15 schlimmsten Steuerparadiese der Welt gewählt hat. Auf der Insel nehmen das manche eher als Kompliment, ein Paradies, das klingt doch gut. Gerade mal 1,3 Millionen Menschen leben auf Mauritius, 2000 Kilometer vom afrikanischen Festland entfernt. Die Holländer hatten die Inselgruppe einst kolonisiert, aber dann bald wieder entnervt aufgegeben. Zu weit draußen, zu wenig zu bieten. Ein bisschen so ist es heute noch. Es geht um die Frage, was so ein Flecken Erde anbieten muss, damit dort jemand investiert, damit überhaupt jemand kommt, so weit nach draußen.

Mauritius: Auf der Insel wohnen nur 1,3 Millionen Menschen, doch die Folgen der mauritischen Steuerpolitik spüren Menschen in ganz Afrika: Ihren schon armen Regierungen geht Geld verloren. Illustration: Bene Rohlmann

Auf der Insel wohnen nur 1,3 Millionen Menschen, doch die Folgen der mauritischen Steuerpolitik spüren Menschen in ganz Afrika: Ihren schon armen Regierungen geht Geld verloren. Illustration: Bene Rohlmann

Seit vielen Jahren schon lockt die Insel Geld aus allen Teilen der Welt an, ohne die Herkunft allzu genau zu prüfen. Personen zahlen 15 Prozent Steuern auf ihre Einkommen, Firmen nur drei. In der Hauptstadt schaut man auf die verspiegelten Glasfassaden, den Blick dahinter mag man nicht so gerne auf Mauritius. Durch die Daten aus den Paradise Papers kann man nun aber ganz gut erkennen, wer denn so dahintersteckt.

"Es gibt hier keine Mitarbeiter, wir verwalten nur eine Offshore-Firma."

Da ist zum Beispiel Jean Claude Bastos de Morais, ein Mann, der die seltene Kombination aus Schweizer und angolanischer Staatsbürgerschaft besitzt. Und nicht so recht weiß, wohin mit seinem Geld. Bastos verwaltet etwa eine Milliarde Dollar aus einem angolanischen Staatsfonds, Geld aus einem Land, das eines der korruptesten ist auf der Welt.

Aus den Dokumenten der Paradise Papers geht hervor, dass Bastos versucht hat, es auf Jersey zu parken und auf der Isle of Man. Auf beiden Inseln ist man eigentlich nicht zimperlich bei der Wahl der Kundschaft, Bastos wollten sie offenbar dennoch nicht. Erst auf Mauritius hieß ihn die dortige Appleby-Filiale herzlich willkommen, trotz einer Vorstrafe in der Schweiz. Intern stufte die Steuerkanzlei Bastos als "riskanten Kunden" ein. Für die Finanzaufsicht war er aber offenbar nur ein Kunde von vielen, es gab keine Einwände.

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(Foto: SZ)

Jahr für Jahr fließen Milliarden aus Afrika nach Mauritius, Geld, das nicht mehr in den oft bitterarmen Ländern versteuert wird, sondern auf dieser kleinen Insel im Indischen Ozean. Zwischen 30 und 60 Milliarden Dollar seien das, so wird geschätzt. Das Steuerparadies trage zur Armut auf dem Kontinent bei, sagt ein UN-Bericht. Mehr als 20 000 Firmen haben ihren Sitz auf Mauritius. Früher hat man solche Konstrukte Briefkastenfirmen genannt. Aber hier gibt es keine Briefkästen, nicht einmal Firmenschilder in den Lobbys der Hochhäuser. Fragt man nach einem Unternehmen, kommen junge Menschen die Fahrstühle herunter und sagen: Leider niemand da, wir verwalten nur das Backoffice. Dann lächeln sie. Für sie ist das alles eher eine Erfolgsgeschichte.

Als die Insel vor fünfzig Jahren von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen wurde, da sagten viele in Europa, das werde nicht lange gut gehen. Es gab ja nichts außer Zuckerrohr. Heute gehört Mauritius zu den reichsten Ländern Afrikas, mit einer guten Infrastruktur und wenig Armut. Die Hauptstadt Port Louis hat eine ansehnliche Skyline, bald wird mit dem Bau einer U-Bahn begonnen. Es ist einerseits ein Afrika, wie man es sich schon lange wünscht im Westen. Andererseits auch das Gegenteil. Seit Jahren erhöhen EU und OECD den Druck auf Mauritius, seinen Finanzsektor transparenter zu gestalten, Schlupflöcher zu stopfen. "Wir sind auf einem guten Weg, wir sind auf der weißen Liste der OECD", sagt Seegolam in seinem Büro. Tatsächlich?

Nummer eins

Aus afrikanischen Ländern fließt viel Geld nach Mauritius, in die Steueroase im Indischen Ozean. Laut Schätzungen geht es um 30 bis 60 Milliarden Dollar jährlich. Den oft bitterarmen afrikanischen Staaten gehen Steuereinnahmen verloren. 2013 haben die Finanzminister des Kontinents illegale Finanzströme untersucht und kamen in einem Bericht der Wirtschaftskommission der UN für Afrika zu dem Schluss: Mauritius ist die schlimmste Steueroase des Kontinents, weit vor den Seychellen und Liberia.

Seegolam ist erst seit Sommer der oberste Finanzaufseher, davor war er bei der staatlichen Wirtschaftsförderung und der Agentur, die den Finanzsektor in der Welt vermarkten soll. Es waren Posten, in denen der Fokus eher darauf lag, dass die Geschäfte brummen, immer größer wurden. Jetzt ist es eigentlich seine Aufgabe, auch einmal Nein zu sagen, wenn wieder einer kommt, der sein Geld auf Mauritius anlegen will.

Man kann ein kleines Spiel machen mit Seegolam und ihn fragen, ob er wisse, dass in dem Turm direkt gegenüber eine Firma sitze, Azura Power Holdings Limited genannt, die auch mit deutschem Geld ein Kraftwerk in Nigeria baue, und dazu noch verwalte? Fragt man bei Azura, wie das denn gehe, ein Kraftwerk viele Tausend Kilometer entfernt zu bauen und zu beaufsichtigen, von einer kleinen Insel aus, dann kommt eine dieser jungen Damen herunter und lächelt: "Es gibt hier keine Mitarbeiter von Azura, es hat hier nie welche gegeben. Wir verwalten nur eine Offshore-Firma." Das ist selbst für das lasche Firmenrecht auf Mauritius ein bisschen wenig. Es schreibt immerhin vor, dass Unternehmen feste Mitarbeiter haben müssen und auch, dass dort regelmäßig Sitzungen abgehalten werden.

"Oh, wie seltsam", sagt der oberste Finanzaufseher Seegolam, als man ihm den Fall schildert. Er könnte jetzt nachfragen, wie denn diese Firma heiße. Er könnte auch einfach mal rübergehen und nachschauen, was es damit auf sich habe. "Oh, wie seltsam", sagt Seegolam noch einmal.

Dann kommt auch er zur Geschichte der Insel, die auch sonst fast jeder erzählt, mit dem man spricht in diesen Tagen, der ehemalige Premier, der Zuckerrohrfarmer und der Wirtschaftsförderer. Es ist eine Geschichte, die sagen soll, wir haben keine andere Wahl, wir haben nichts anderes. Es ist die Geschichte davon, warum das Land so ist, wie es ist. Warum es keiner ändern will. Seegolam schaut auf die Bürotürme von Port Louis, auf das Zentrum eines Landes, das alle Pessimisten eines Besseren belehrt hat. Dem ein kleines Märchen gelungen ist in den vergangenen Jahrzehnten.

"Wir haben das Fundament geschaffen", sagt Salil Roy. Es sitzt auf der Veranda eines kleinen Hofes an der Westküste der Insel. Vor ihm steht ein Traktor, hinter ihm im Büro sieht man die Bilder der Ahnen an den Wänden. Sie kamen Ende des 19. Jahrhunderts, als selbst für die Engländer die Zeit erreicht war, die Sklaverei zu beenden - sie war einfach nicht mehr schicklich.

Weil man für die Zuckerrohrplantagen aber trotzdem Arbeiter zu Dumpinglöhnen haben wollte, probierten die Briten etwas Neues: Vertragsarbeiter aus Indien kamen auf die Insel, die formal keine Sklaven mehr waren, in der Praxis jedoch in sklavischer Abhängigkeit von den Großgrundbesitzern lebten. "Mein Großvater hat in der Zuckerrohrfabrik geschuftet und das bisschen Geld, das er bekam, gespart, um ein wenig Land zu kaufen", sagt Roy. Mit den Generationen wurde es immer mehr und heute hat Roy so viele Hektar, dass die Farmer ihn zum Präsidenten ihrer Vereinigung gewählt haben. In gewisser Weise darf Roy jetzt über den Niedergang präsidieren. "Die Zeiten sind hart geworden", sagt er. Früher war Zuckerrohr alles auf der Insel. Heute sind es nur noch ein Prozent des Bruttosozialprodukts.

Für seine Vorfahren waren es noch goldene Zeiten. Mauritius war einer der Weltmarktführer, konnte die Preise diktieren. Die Farmer rodeten sehr große Teile der Insel und pflanzten überall dasselbe. An seinen Rändern hat Mauritius wunderschöne Strände, im Inneren kann man stundenlang durch Zuckerrohr fahren, ohne den Horizont zu sehen. Eine riesige Monokultur, man hatte sich dem Zucker ausgeliefert. Die Konkurrenz wuchs zwar, aber Mauritius blieb sehr lange eine Insel der Seeligen: Die EU garantierte Festpreise, die über Weltmarktniveau lagen - ein kleiner Freundschaftsdienst für die ehemalige britische Kolonie. "Als die garantierte Abnahme durch die EU endete, wurde alles anders, die Preise fielen um ein Drittel. Ich kenne keine andere Branche, die das überlebt hat", sagt Farmer Roy. Die Insel stand vor dem Ruin. Und die Regierung fragte sich: Was haben wir noch zu bieten?

Die Strände sind schön, sie locken die Touristen. Doch es kamen auch die Banken

Als Erstes versuchte es Mauritius mit Tourismus. Die unfassbaren Strände und Riffe sind heute Grundlage für die größte Einnahmequelle der Insel. Dann kam die Textil- und die Finanzindustrie. Seit den 90er-Jahren siedeln sich Banken und Kanzleien an. Sie bringen Geld mit und Kunden, von denen man nicht so genau weiß, ob man sie haben will. Die Arbeitsplätze, die dadurch entstehen, nimmt aber jeder gerne. "Heute will doch niemand mehr auf der Farm arbeiten", sagt Bauer Roy. "Die Leute wollen White-Collar-Jobs, alle wollen Banker oder Steuerberater werden." Auch seine Tochter, die gerade die Schule fertig macht und studieren will, wird sich nicht mehr die Hände schmutzig machen auf den Feldern. Die Frage ist nur, ob das in den schicken Bürotürmen besser gelingen kann.

Bisher hatte sich die Insel eher an Indien orientiert, an "Mother India", die alte Heimat der großen Mehrheit seiner Bevölkerung. Die Liebe ist ein bisschen abgekühlt, seit Indien das Doppelbesteuerungsabkommen mit Mauritius gekündigt hat. Solche Abkommen garantieren, dass Personen und Firmen nicht doppelt besteuert werden. Was im Fall von Indien und Mauritius dazu führte, dass Firmen wie Vodafone ihre Milliardengewinne auf Mauritius versteuerten, obwohl die Profite vom riesigen Subkontinent stammen. Jetzt gibt es ein neues Abkommen, das für Mauritius lange nicht mehr so günstig ausfällt. Der Blick geht deshalb nach Afrika, Mauritius möchte zur Finanz- und Logistikzentrale des gesamten Kontinents aufsteigen. Zum Beispiel für Länder wie Namibia.

Namibia hat eine lange Küste und keine eigene Fischflotte, was es für die Chinesen interessant machte, die dort zusammen mit einigen hochrangigen namibischen Politikern ins Fischgeschäft einstiegen. Eine gemeinsame Tochter wurde auf Mauritius gegründet, die Brandberg Investment Holding. Deren Aufgabe ist es offenbar, die Gewinne in Namibia kleinzurechnen, wo die Steuern hoch sind - damit möglichst viel Geld nach Mauritius transferiert werden kann, wo man nur drei Prozent zahlt. Es ist ein Wachstum auf Kosten der anderen, das jedoch womöglich nicht mehr lange gut geht. Einige afrikanische Staaten haben die Doppelbesteuerungsabkommen bereits gekündigt, oder wollen neu verhandeln.

"Wenn das Geld nicht mehr kommt, wird es schwer, den Kopf über Wasser zu halten", sagt Paul Bérenger. Er sitzt in seinem Arbeitszimmer in einem Vorort von Port Louis, Holzböden, schwere Sessel und ein schöner Schreibtisch aus Holz. Er selbst vornehm ergraut, Stoffhose, Lederslipper und Hemd. Es ist ein wenig so, als wäre die Kolonialzeit gerade erst zu Ende gegangen. Das Zimmer ist voller Moskitos, die sich auf den Gast stürzen. "Sie lieben weiße Haut."

Die Haut von Paul Bérenger ist selber ziemlich weiß, er war der einzige Premierminister europäischer Abstammung, den die Insel je hatte. Etwa siebzig Prozent der Bevölkerung sind indischer Abstammung, etwa 25 Prozent Kreolen, Nachfahren von Sklaven aus Afrika, die sich mit Europäern gemischt haben. Dazu gibt es ein paar Tausend Chinesen und Franco-Mauritier. "Der Privatsektor ist immer noch sehr weiß", sagt Bérenger. Es gibt fünf große Familien, Großgrundbesitzer aus der französischen Zeit, denen heute auch die Banken gehören und viele Hotels. Die sich aber nicht in die Politik einmischen. Die ist die Domäne der Hindus, von denen viele Händler sind oder Farmer. Die Hindus haben auch gleich ihr Kastenwesen mitgebracht, die wahre Kaste aber sieht so aus: Erst weiß, dann Inder und dann die Kreolen.

"Wenn der Finanzsektor verschwindet, sind wir tot", sagt der ehemalige Premierminister

Aber es ist auf Mauritius dennoch etwas entstanden, was einer Art Regenbogennation ziemlich nahe kommt. Näher zumindest als in Südafrika ein paar Tausend Kilometer weiter. Es gibt hier keine so furchtbaren Slums, es gibt nicht so viel Gewalt. Als Mauritius unabhängig wurde, lag das Bruttoinlandsprodukt bei gerade mal 400 Dollar pro Einwohner, heute sind es 10 000. Der Sprung in die nächste Gehaltsklasse, in die "High-Income-Economys" ist das große Ziel der Insel, eine Art Ritterschlag. In letzter Zeit ist der nur etwas in die Ferne gerückt, weil die Korruption größer geworden ist, weil der alte Premierminister seinen Sohn als Nachfolger installiert hat. Wie in einer Bananenrepublik.

"Das alles lässt sich lösen", sagt Paul Bérenger. "Wovor ich am meisten Angst habe, ist, dass das Geld nicht mehr kommt." Bérenger hat in den Sechzigerjahren in Paris studiert, "wir hatten Ideale, wir haben für Gerechtigkeit gekämpft. Für eine bessere Welt." Heute lebt er an einem Ort, an dem nicht unbedingt die Besten der Welt zur Kundschaft zählen. Auf einer Insel, die davon lebt, dass ärmere Staaten in Afrika weniger Geld einnehmen und deren Geschäfte dazu führen, dass es in anderen Ländern ungerechter zugeht. Wie findet er das? Bérenger schaut nur einmal kurz irritiert. "Ah, die Moral. Es gibt nur so viel soziale Gerechtigkeit, wie die Wirtschaft es zulässt", sagt er. "Wenn der Finanzsektor verschwindet, sind wir tot."

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