Süddeutsche Zeitung

Mauerfall:Wenigstens ehrlich

Die Einheitsfeiern in Berlin waren vielfältig. Das ist gut.

Von Jan Heidtmann

Geschichte von unten" werden die Formate genannt, in denen nicht die Mächtigen zu Wort kommen, sondern die vermeintlich Ohnmächtigen. Dieser Gedanke hat die Feierlichkeiten zum Fall der Mauer vor 30 Jahren geprägt. Sei es in der Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sagte, "Geschichte besteht aus Geschichten". Oder durch die vielen Aufnahmen von Zeitzeugen, die sich die Berlin-Besucher eine Woche lang in der ganzen Stadt anhören konnten. Es hat dem Gedenken gut getan.

Die wieder aufgebrandete Debatte um die Vereinigung und ihre Folgen zeigt ja, wie verschieden die Wahrnehmung ist: Was die einen als Glück empfinden, hat anderen die Lebensgrundlage geraubt. Der Versuch, die eine Erfolgsgeschichte von Mauerfall und Vereinigung zu erzählen, hat die Menschen daher eher auseinandergetrieben als zusammengeführt. Die Ergebnisse der vergangenen Wahlen im Osten des Landes sind nur der sichtbarste Beleg dafür.

Deshalb war es gut, dass nicht Pathos das Gedenken bestimmt hat, kein großer Staatsakt, auch nicht DJ Westbam - sondern vor allem Nachdenklichkeit. Es gab nicht den Versuch, das Ende der Geschichte zu markieren, sondern nur, eine Wegmarke in turbulenten Zeiten zu setzen. So war diese Feier zum Fall der Mauer die bisher ehrlichste.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019
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