An diesem Tag vor 35 Jahren saß das damalige SED-Politbüromitglied Günter Schabowski im Internationalen Pressezentrum der DDR und sorgte unfreiwillig für den Fall der Berliner Mauer. Er las neue Gesetze zu Reisen von DDR-Bürgern ins westliche Ausland vor und sagte auf Nachfrage eines italienischen Journalisten die berühmten Worte: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Minuten später strömten die Menschen massenhaft an die Mauer und zu den Grenzübergängen – wenig später war die Mauer gefallen.
An diesem Samstag haben in Berlin die Feierlichkeiten zum 35. Jahrestag des Mauerfalls begonnen. Auf einer zentralen Gedenkveranstaltung erinnerte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) an den Wert der Freiheit. „Haltet hoch die Freiheit, denn ohne Freiheit ist alles andere nichts“, sagte der CDU-Politiker. „Freiheit und Demokratie waren noch nie eine Selbstverständlichkeit.“ Derzeit würden sie von außen und innen angegriffen. Deshalb müsse man die Menschen vom Herbst 1989 zum Vorbild nehmen. An der Gedenkveranstaltung nahm auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teil. Das Motto der Feiern lautet „Haltet die Freiheit hoch!“. Ein Höhepunkt soll am Abend ein „Konzert für Freiheit“ mit 700 Musikern sein.
Bundeskanzler Scholz sprach in einem Video auf der Internetplattform X vom Fall der Berliner Mauer als einem „glücklichen Höhepunkt einer gesamteuropäischen Entwicklung“. Er erinnerte an die vorangegangenen Freiheitsbewegungen in Osteuropa und unterstrich: „Der Sieg der Freiheit im Herbst 1989 war ein gesamteuropäischer Sieg.“ Der Fall der Berliner Mauer sei „ein Glückstag, für den wir Deutschen bis heute dankbar sind.“
„Das waren unfassbare Momente, unfassbare Stunden und Tage“
Generell sei der 9. November ein Schicksalstag für Deutschland, im Positiven wie im Negativen, sagte Bürgermeister Wegner. In der Tat häufen sich an diesem Datum historisch bedeutsame Ereignisse: 1918 ruft der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die erste Deutsche Republik aus. 1923 scheitert in München der „Hitlerputsch“, mit dem Adolf Hitler eine „nationale Revolution“ starten und die Reichsregierung absetzen wollte. 1938 findet am 9. November die Reichspogromnacht statt, in der jüdische Geschäfte, Häuser und Synagogen niederbrennen. 1989 dann fällt die Berliner Mauer.
Am Jahrestag sehe man vor allem die positive Seite, sagte Wegner. Die Menschen hätten die Mauer damals beiseitegeschoben. „Das waren unfassbare Momente, unfassbare Stunden und Tage.“ Er wünsche sich, dass die Stimmung von damals wieder zurückkehre, so Wegner, denn 1989 sei es um Optimismus und Zusammenhalt gegangen.
An den Mauerfall erinnert in Berlin unter anderem eine Open-Air-Installation entlang der Spree. Die Ausstellung zeichnet von der Invalidenstraße über den Checkpoint Charlie bis zur Axel-Springer-Straße den Weg der Berliner Mauer nach. Dazu waren Tausende aufgerufen, Schilder und Plakate zu gestalten in Anlehnung an die Demonstrationen zur Wende in der DDR.
Der Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Gdansk, Basil Kerski, nannte den 9. November mit Blick auf die Novemberpogrome von 1938 ein „helles und dunkles Datum“.
Auf der Gedenkfeier geht es auch um den Krieg in der Ukraine
Während der Feierstunde steckten die Teilnehmenden, darunter Angehörige von Mauer-Opfern, Bürgerrechtler und Jugendliche aus Polen, Frankreich und Norwegen, Rosen in einen Spalt der noch erhaltenen Mauer an der Bernauer Straße – auch um an die Opfer zu erinnern. Mindestens 140 Menschen kamen in der Zeit zwischen den Jahren 1961 bis 1989 an der Grenze zwischen Ost- und West ums Leben – viele wurden von Soldaten der DDR-Grenzpolizei erschossen.
Mehrere Rednerinnen und Redner gingen auch auf den seit zweieinhalb Jahren laufenden russischen Angriffskrieg in der Ukraine ein. „Die Werte der Revolution von 1989 werden heute auf den Schlachtfeldern der Ukraine verteidigt“, sagte der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier. Grundsätzlich fügte er hinzu: „An die Freiheitssehnsucht der Menschen von damals zu erinnern, verpflichtet uns, Verantwortung zu übernehmen. Toleranz zu leben, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen und den Traum von einem friedlichen Miteinander unermüdlich zu befördern.“ Auch an die Pogromnacht vom 9. November 1938 wolle er erinnern, sagte Klausmeier. Es sei unerträglich, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder in Angst leben müssten.