Matthias Platzeck:Abschied des Herzenswärmers

Landtag Brandenburg

Ministerpräsident Matthias Platzeck hält im Landtag in Potsdam vor den Ministern eine Dankesrede

(Foto: dpa)

Brandenburgs SPD muss künftig ohne Matthias Platzeck an ihrer Spitze auskommen. Das Land steht am Ende seiner Zeit als Ministerpräsident besser da als zu deren Beginn vor mehr als zehn Jahren. Doch immer noch gibt es viele Herausforderungen - der Neue wird es nicht leicht haben.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Manchmal kommt so ein Zeitenwechsel fast unbemerkt, so selbstverständlich wie nach dem Frühling der Sommer. Manchmal stapft er aber auch ein wenig schwerfällig daher, mit Kraft, in Gummistiefeln, dann sagen die Leute: Na ja, mal sehen, wird schon irgendwie.

Ellen Wisniewski sagt: "Na ja. Nu isser gewählt", dann klatscht sie in die Hände für die neue Zeit und den langen Kerl, der die Geschicke Brandenburgs lenken soll. Montagabend in einem Hotel am Templiner See in Potsdam, die Brandenburger SPD nimmt Abschied von ihrem Parteichef Matthias Platzeck, jedenfalls ein bisschen. Nach einem Schlaganfall gibt Ostdeutschlands bekanntester Sozialdemokrat seine Regierungsämter ab und an diesem Abend in einem kahlen Konferenzsaal den Parteivorsitz. An diesem Mittwoch wird Platzeck im Landtag den Rücktritt erklären, dann wird sein Nachfolger Dietmar Woidke vereidigt, der bisherige SPD-Innenminister.

Tränen beim Parteitag

Eine neue politische Ära bricht da an, das gab es erst einmal in Brandenburg, als 2002 Ministerpräsident Manfred Stolpe sein Amt an Matthias Platzeck abtrat. Der ist nach einem Vierteljahrhundert in der Politik so beliebt, dass, ach, die Tränen fließen beim Parteitag am Montagabend. Das Taschentuch von Ellen Wisniewski ist ein nasser Klumpen, dabei ist diese 87 Jahre alte Dame sonst nicht von der zerbrechlichen Art. Ellen Wisniewski ist Ortsvorsteherin von Zauchwitz, "eingemeindet Beelitz", eine resolute märkische Bürgermeisterin, "seit 1979": Sie widmet sich quasi immer schon "dem Aufbau". 1945 in der SPD war das so, dann in der SED, dann wieder in der SPD. Jetzt kommt also noch ein Neuanfang, ohne Platzeck. Sie zögert. Doch sagt sie, sie mag den Dietmar Woidke auch. "'Nen Besseren ham wir nicht."

Sie müssen tapfer sein, die Brandenburger Sozialdemokraten, die 2014 eine Landtagswahl zu bestreiten haben und mit Platzeck ihren Herzenswärmer verlieren, den Garanten für Wahlsiege, von denen die SPD anderswo nur träumt. Platzeck aber will das jetzt nicht: Tränen, Kummer. Zum Parteitag erscheint er gut gelaunt mit seiner Frau Jeanette Jesorka, die ein rot-schwarzes Cocktailkleid trägt wie eine Fahne und im Gesicht einen Ausdruck, als wollte sie sagen: Ich habe gewonnen.

"Ich hab's mir doch noch mal anders überlegt"

Ihr Mann zieht sich raus aus dem mörderischen Politikbetrieb, wenn auch nicht ganz. Platzeck will auch nach 2014 im Landtag bleiben, als einfacher Abgeordneter. Wie das gehen soll, weiß in der Fraktion noch keiner so genau, aber man hofft. Platzeck sei ja ein feiner Mensch. Dann aber springt der Alte auf die Bühne mit einem Satz. "Ich hab's mir doch noch mal anders überlegt", ruft Platzeck. Da johlt der Saal, Applaus, aber es kommt natürlich anders. Anders überlegt hat Platzeck sich nur, dass er keine Abschiedsrede "voll Pathos und Dummheiten und Nostalgie" halten will.

Dass es ihm schwerfällt zu gehen, das sieht man auch so, in kleinen Momenten und als es vorbei ist. In den anderen sieht man den Mutmacher, den Aufbauhelfer Ost, der stolz ist, "dass die kleinen Pflänzchen, die wir gesetzt haben, schon Früchte tragen". Das stimmt sogar, jedenfalls bei einigen Pflänzchen. Brandenburg steht am Ende der Ära Platzeck besser da als zu ihrem Beginn. Die Arbeitslosigkeit ist - anders als etwa in Berlin - unter zehn Prozent gesunken, es werden derzeit keine neuen Schulden gemacht, im Speckgürtel um Berlin, besonders im Süden, zieht die Wirtschaft an, wenn auch vorsichtig.

Brandenburg gehört auch nicht mehr zu den Regionen, die den EU-Höchstfördersatz kriegen. Das gilt für alle neuen Bundesländer, weil sie aufholen. Zudem gibt es jetzt neue EU-Länder, in denen die Not größer ist als im deutschen Osten. Zu tun bleibt genug, auch in Brandenburg. Im Bildungsbereich, wo das Land schlecht abschneidet, wurde das Schüler-Bafög eingeführt, für neue Lehrer gesorgt, die Inklusion behinderter Kinder versprochen. Nur reicht das Geld nicht, um aus guten Vorsätzen guten Unterricht, gute Kitas zu machen, für alle. Die Solarindustrie kränkelt, der Flughafen ist unfertig, die Zukunft der Braunkohle ungewiss. Und in den Randregionen hält Abwanderung an. Von 2017 an werden die Schülerzahlen einbrechen - Spätfolge des Geburtenknicks nach der Wende. Nach einer Bevölkerungsprognose des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg wird sich die Zahl der Geburten in Brandenburg bis 2030 fast halbieren.

Was gibt Platzeck seinem Land mit auf den Weg?

Was also gibt Platzeck seinem Land mit auf den Weg? Zusammenhalten, sagt er, Kopf hoch, anpacken. "Es genügt nicht, im Schlafwagen durchs Land zu zockeln. Man muss auch irgendwo hinwollen." Das ist eine Mahnung an die Partei, nach fünf gewonnenen Landtagswahlen nicht die sechste schon für gewonnen zu halten. "Und geht in der Zukunft dem Wind nicht aus dem Weg", sagt Platzeck, bevor er seinen Nachfolger lobt, an dem er "nicht den allerleisesten Zweifel" habe, dann seiner Frau dankt, "ich verspreche ihr bessere Zeiten". Jetzt wackelt die Stimme doch etwas.

Es wird dann nicht ganz leicht für Dietmar Woidke, den Nachfolger, den Ball wieder in die Luft zu kriegen, den Platzeck ihm da zugeworfen hat. Woidke, ein Hüne, Bauernsohn aus der Lausitz, ein promovierter Agrarwissenschaftler, wirkt zunächst steif, stapft schweren Schrittes in seine Bewerbungsrede als Parteichef. Manche meinten ja, jetzt regierten die Hinterwäldler, sagt er. "Ich muss euch gestehen: ja, es stimmt." Er komme vom Dorf "bei der international bekannten Großstadt Forst", er wisse, wo die Menschen der Schuh drücke im Land. Sein Horizont aber reiche "weit über die Lausitz hinaus".

Den Beweis dafür tritt Woidke gleich an, er spricht von den inneren Unterschieden im Land, "diese Vielfalt wird in den kommenden Jahren zunehmen". Er meint nicht nur die Vielfalt zwischen Uckermark und Fläming. Brandenburg müsse ein offenes Land werden für alle Menschen, egal woher sie stammen, aus Berlin oder Bayern, "aus Spanien oder Afrika". Dazu gehöre es auch, "dass wir sehr klare Kante allen Nazis und Rassisten zeigen". Da klatschen die Delegierten, und es ist Erleichterung zu spüren, dass der Neue eine Botschaft hat, immerhin. 115 Stimmen für Woidke, fünf gegen ihn, der Rest ist Hoffnung und Schmalzbrot mit Zwiebel. Draußen, in einer kühlen Spätsommernacht am See.

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