Matteo Renzi und Silvio Berlusconi:Zwei, die sich verstehen

Italy, Rome: Charismatic Florence's Mayor Matteo Renzi during the popular TV talk show 'Porta a Porta'

Ein Teufelspakt? Premier Renzi und Ex-Premier Berlusconi.

(Foto: dpa)

Doch nur ein "Schwätzer"? In Italien regt sich erste Kritik an Premier Matteo Renzi. Er reagiert mit einer Reformoffensive - und aktiviert dafür ausgerechnet den alten Erzfeind Berlusconi.

Von Stefan Ulrich

Die Wertschätzung der Italiener für ihre politische Klasse war meist gering. Selbst vor diesem Hintergrund ist die Zahl, die der Mailänder Meinungsforscher Renato Mannheimer jetzt präsentierte, katastrophal. Nur noch fünf Prozent der Befragten gaben in einer Umfrage des Ispo-Instituts an, Vertrauen in das politische System Italiens zu haben. "Damit wir uns verstehen: Sogar Spielkasinos erscheinen vertrauenswürdiger", kommentierte Mannheimer. Wie soll die Politik das Land da noch führen und reformieren können?

Des Rätsels Lösung: Ein Mann bleibt von der Politikverachtung verschont - Ministerpräsident Matteo Renzi. Obwohl er bereits sieben Monate im Amt ist, ohne dass es Italien erkennbar besser geht, genießt der sozialdemokratische Premier Zustimmungswerte von weit über 50 Prozent. Es schätzen ihn nicht nur Wähler der Linken, sondern auch der Rechten. Das liegt mit daran, dass die Opposition bislang keine Alternativen aufbauen konnte - der als Steuerbetrüger verurteilte Silvio Berlusconi ist jedenfalls keine mehr. Zudem schieben viele Italiener die Schuld an Rezession, weiterhin hoher Arbeitslosigkeit und Reformstau eher dem Parlament als dem Regierungschef zu.

Dramatischer Auftritt

Der 39 Jahre alte Renzi zehrt vom Image des Machers, das er sich geschaffen hat. Die Frage ist nur: Wie lange noch? In den Medien wird kritisiert, Renzi verspreche viel und halte wenig. "Chiacchierone", Schwätzer, wird er schon genannt. Auch heißt es, er achte bei der Auswahl weiblichen Spitzenpersonals mehr auf Schönheit als auf Kompetenz, wie Berlusconi.

Nun reagiert Renzi auf die anschwellende Kritik. Bei dramatischen Auftritten diese Woche im Abgeordnetenhaus und Senat versprach er, Italien binnen "1000 Tagen" zu reformieren. Dies sei die letzte Chance. "Wenn wir verlieren, verliert Italien." Zugleich drohte er mit Neuwahlen, falls die Parlamentarier Reformen torpedieren sollten. Viele der Abgeordneten und Senatoren würden dann ihre Ämter verlieren.

In der Sache möchte sich der Premier jetzt auf die Arbeitsmarktreform stürzen, die er schon vor Monaten durchziehen wollte. Sie wird von der Wirtschaft und der EU seit Langem gefordert. Auf dem Arbeitsmarkt herrsche "Apartheid", sagte Renzi. Es gebe Bürger erster und zweiter Klasse, je nachdem, in welchen Betrieben sie arbeiteten und ob sie fest angestellt seien oder nicht.

Tatsächlich werden Arbeitsplatzbesitzer in Italien besonders gut gegen Kündigungen geschützt. Eine Folge: Arbeitgeber stellen junge Leute kaum mehr fest ein, sondern geben ihnen nur befristete Jobs, wenn überhaupt. Andere müssen sich als Scheinselbständige durchschlagen. Wieder andere - 43 Prozent der jungen Italiener - sind arbeitslos. Gerade die Linke dürfe diese Ungerechtigkeit nicht verteidigen, mahnte Renzi.

Renzis Nähe zu Berlusconi nährt Spekulationen

Renzis Pläne sehen ein einheitliches Recht für neu Eingestellte vor. Sie sollen einen unbefristeten Vertrag bekommen, der vom Arbeitgeber in den ersten drei Jahren ohne Angaben von Gründen gekündigt werden kann. Danach soll der Kündigungsschutz mit der Betriebszugehörigkeit steigen. Urteile, die Kündigungen für unwirksam erklären, sollen nur noch in Ausnahmefällen zur Wiedereinstellung führen. Außerdem sollen Arbeitnehmer leichter umgesetzt und überwacht werden können.

Natürlich werden diese Vorschläge in Teilen von Renzis Partito Democratico und von Gewerkschaftern kritisiert. Die Vorschläge seien "surreal". Renzi folge einer neoliberalen Agenda. Der Premier wirkt aber entschlossen, die Reform durchzusetzen. Zugleich verspricht er für die kommenden Jahre Milliardeneinsparungen, Privatisierungen, mehr Geld für Lehrer und Schulen, eine schnellere Justiz und bürgerfreundlichere Verwaltung. "Schritt für Schritt" werde er Italien verändern. Der Bürger soll alles auf der Internetseite passodopopasso.italia.it überprüfen können.

Auch bei den politischen Reformen möchte der Premier das Tempo steigern. Der Senat, bisher neben dem Abgeordnetenhaus gleichwertig an der Gesetzgebung beteiligt, soll zu einer Vertretung der Regionen mit deutlich weniger Macht herabgestuft werden. Die Senatoren haben dieser Selbstenthauptung bereits zugestimmt - durchaus eine Leistung Renzis. In den kommenden Wochen will er nun auch noch ein neues Wahlrecht durchsetzen. Es soll den Bürgern mehr Einfluss auf die Kandidatenlisten geben und den Regierungen stabilere Mehrheiten verschaffen.

Wenn auf all die Ankündigungen auch Taten folgen sollen, braucht Renzi aber schon jetzt genügend Unterstützer im Parlament. Seine eigene Koalition aus Sozialdemokraten und zwei Mitte-rechts-Kleinparteien ist dafür zu schmal. Die Fünf-Sterne-Bewegung des Ex-Clowns Beppe Grillo betreibt Fundamentalopposition. Bleibt die Partei Forza Italia. Deren schillernder Chef Silvio Berlusconi war knapp zwei Jahrzehnte lang der Erzfeind der Linken. Die Gegnerschaft grenzte an Hass. Berlusconi und Renzi aber scheinen sich zu verstehen.

Am Mittwochabend tagten sie zwei Stunden lang im Regierungssitz Palazzo Chigi. Der alte versprach dabei dem jungen Premier breite Unterstützung bei den Reformen. Außerdem wollen sich die beiden künftig jeden Monat treffen. Das nährt Spekulationen. Renzi musste am Donnerstag seiner Partei versichern, es werde keine Koalition mit Forza Italia geben.

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